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Nachtglanz - Heitmann, T: Nachtglanz

Titel: Nachtglanz - Heitmann, T: Nachtglanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Heitmann
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jemand, der sich nach Beachtung sehnte. Er wolle seinen Weg gehen können, ohne dass man sich den Hals nach ihm verdrehte. Zu ihm passte kein schönes Gesicht, so viel stand zumindest fest.
    Mit einem Anflug von Zorn spülte er das Rasiermesser ab. Während er die scharfe Stahlklinge säuberte, verflüchtigte sich der Wunsch, hinauszugehen und jemanden für seine Verwirrung büßen zu lassen. Denn eigentlich hatte er ja schon jemanden gefunden: diesen Fremden, der ihn unentwegt aus seinen Katzenaugen beobachtete und sich anscheinend bestens über seine Konfusion amüsierte.
    Herausfordernd betrachtete Adam erneut das Spiegelbild und fasste einen Entschluss:Wenn all das hier nur seinem kranken Geist entsprang, hatte folglich nichts von seinem Tun Konsequenzen. Sollte es jedoch die Realität sein, wollte er sie lieber schnell hinter sich lassen. Endgültig.
    Ohne zu zögern, setzte Adam die Klinge an seinem Hals an, spürte, wie sie die Haut durchschnitt und mühelos ins Fleisch glitt, während er den Blick der Katzenaugen mit einem verächtlichen Lächeln erwiderte. Dunkles, samtig glänzendes Blut quoll hervor, roch nach Salz, Metall und Leben. In schnell breiter werdenden Rinnsalen floss es über seine Brust.
    Wunderschön, flüsterte die Stimme.
    Adam schrie auf, zog die Klinge mehr aus Wut als aus Verzweiflung quer über seine Kehle. Er taumelte zurück und stieß unerwartet heftig gegen den Ofensockel. Gegen seinen Willen versuchte er, durch seine aufgeschnittene Luftröhre zu atmen, was ihm jedoch nicht gelang. Es drang nur Blut ein, ließ ihn zunächst husten und dann keuchen.

    Die Badezimmertür wurde nach einem kurzen Klopfen geöffnet, und Etienne Carrière trat ein. Adam blinzelte ihn an und konnte ihn zwischen den tanzenden schwarzen Flecken kaum noch ausmachen, während er langsam am Ofen hinabsank. Carrière ergriff eins der Badetücher und presste es ihm gegen die klaffende Halswunde.Adam versuchte, ihn abzuwehren und ein »zu spät« hervorzubringen, aber seine durchtrennte Kehle ließ keinen Laut zu.
    Dafür gelang ihm zu seinem Entsetzen jedoch ein erster Atemzug, schmerzhaft wie bei einem Neugeborenen.
    Dann noch einer.
    Carrière lächelte, als würde der Anblick des fließenden Blutes ihn mehr verzücken als ein paar blasse Frauenschenkel, dann wurde seine Miene ernst.
    »Der Schnitt schließt sich bereits wieder. Sie haben mein Badezimmer also ganz umsonst ruiniert. Hören Sie endlich auf, sich gegen meine Hilfe zu wehren, und drücken Sie das Tuch gegen die Wunde, damit nicht noch mehr Blut das Mosaik verdirbt. Das bekommt man nämlich nur schwer wieder aus den Fugen. Glauben Sie mir, ich weiß, wovon ich rede.«
    Adam wollte verzweifelt auflachen, brachte allerdings nur ein blutersticktes Gurgeln zustande, während sich der Schnitt durch seine Kehle wie von Zauberhand immer weiter schloss. Bald würde er ein richtiges Lachen zustande bringen, wenn auch ein bitteres. Das hatte er jetzt endgültig begriffen. Aus seiner Welt - ob sie nun real war oder nicht - gab es keine Fluchtmöglichkeit. Er war ein Gefangener.
    Du gehörst mir, sang die verhasste Stimme, für immer .

4
    Tempelopfer
    Nachdem sich die Halswunde geschlossen und Adam sich abermals gereinigt und angezogen hatte, war er Etienne Carrière im verschwenderisch breit angelegten Flur begegnet. Hier reihten sich Regale an Regale, alle bestückt mit aufwendig in Leder gebundenen Büchern. Die Professur in Literatur war allem Anschein nach eine wahre Berufung.
    Carrière, mit Mantel und Zylinder, rückte seinen bereits perfekt sitzenden Kragen zurecht. »Ich sehe nun ein, dass es ein Fehler war, Sie nicht umgehend über Ihren Zustand aufzuklären, da er Ihnen doch zweifelfrei so viele Rätsel aufgibt. Ich werde mich aufrichtig bemühen, Ihnen zu helfen - aber eine leicht zu bewältigende Aufgabe wird es wohl nicht. Ihr psychisch labiler Zustand und die Rede von einer Stimme, die zu Ihnen spricht, verheißen nichts Gutes.«
    Mit der behandschuhten Hand deutete Carrière auf seinen Hausdiener Henri, der noch zierlicher war als sein Herr und fast unter dem Mantel begraben wurde, den er für Adam bereithielt.
    »Ein Cafébesuch wird genau das Richtige für unsere strapazierten Nerven sein«, verkündete Carrière strahlend, als würde allein die Vorstellung ihm schon das Herz erwärmen.
    Zuerst wollte Adam protestieren, weil ihm jede weitere Zeitverzögerung zuwider war. Dann nahm er jedoch den Geruch seiner alten Kleider wahr, die noch

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