Nachtglanz - Heitmann, T: Nachtglanz
Vertrauen und jener stillen Art von Liebe, die Adam vermutlich nicht einmal zu geben fähig gewesen wäre, wenn kein Dämon in ihm lauerte. Im Lauf der Zeit hatte er genug Menschen nachgestellt, so dass ihm oft schon ein Blick reichte, um zu wissen, mit welcher Sorte er es zu tun hatte. In Haydens Augen hatte er eine Festigkeit entdeckt, die er niemals zustande brächte. Dafür war er schlicht zu impulsiv. Diese Erkenntnis versetzte ihm einen unerwartet heftigen Stich, und sogleich spürte er eine Regung des Dämons, wie eine Katze, die sich unter einem Stapel Decken freikämpfen wollte.
Hastig vergrub er sein Gesicht in Esthers Winterfeuerhaar, woraufhin sie ein Seufzen ausstieß, als habe auch sie sich nach einer liebevollen Geste gesehnt, damit sie ebenfalls unangenehmen Gedankengespinsten entkommen konnte. Was waren sie doch für zwei Getriebene …
»Weißt du eigentlich, wie besonders du bist?«, fragte sie ihn leise, als solle nicht einmal der Wind ihre Worte einfangen können.
»In welcher Hinsicht?« Zu gern wollte er der Unterhaltung etwas Leichtes geben, doch eine amüsante Bemerkung kam ihm einfach nicht über die Zunge. Esthers Hand griff nach seinem Mantelrevers und hielt sich daran fest, als befürchte sie ansonsten, den Halt zu verlieren.
»Vielleicht sollte ich es andersherum anfangen:Anders’ Gabe ist eigentlich unwiderstehlich. Ansonsten wäre er nicht in der Lage, so viele von eurer Art zu einem friedlichen Zusammenleben zu bewegen. Allein die Gestalten, die seit meiner Zeit als seine Dienerin zu ihm gekommen sind … Es sind ja nicht bloß die Wohlgeratenen, die du auf der Party kennengelernt hast. Seine Vorzeigeexemplare, wenn er einem Neuankömmling vorführen will, was ihn erwartet. Es gibt ja auch solche, deren Gabe sie den Verstand gekostet hat oder denen von ihrer Menschlichkeit nur ihre Abartigkeit geblieben ist. Indem er ihren Dämon berührt, nimmt er ihnen ihren Eigenwillen. Und plötzlich ist ein Zusammenleben möglich. Nur bei dir scheint es nicht funktioniert zu haben.«
»Anders meinte, es würde sicherlich einige Male brauchen, um den Dämon so weit zu stärken, dass er meine menschlichen Überreste tilgen kann.«
»Ja, das hat er gesagt, aber ich bin mir da nicht so sicher.«
Adam machte Anstalten, Esther ins Gesicht zu sehen, doch sie klammerte sich nur fester an ihn. »Du bist lange Anders’ Dienerin gewesen, und selbst wenn du es nicht aus Überzeugung
warst, fällt es dir sicherlich schwer, über seine Geheimnisse zu sprechen. Also quäl dich nicht damit. Von allen Sorgen dürfte Anders unsere kleinste sein. Schließlich ist er ohnehin davon ausgegangen, über kurz oder lang auf deine Dienste verzichten zu müssen.«
»So einfach ist es leider nicht, auch wenn ich mir das wünsche.«
»Warum?« Sein Ton fiel harscher als beabsichtigt aus, und Esther zuckte zusammen. Aber allein die Vorstellung, dass sich eine weitere bedrohliche Wolke am Horizont auftat, reizte seine Nerven. Sofort streichelte er Esther über den Rücken und fügte hinzu: »Anders ist nur einer unter vielen, ganz gleich, wie spektakulär seine Gabe ausfallen mag. Du brauchst dir seinetwegen keine Sorgen zu machen. Gut, er hat meinen Dämon ein Mal gestärkt - das war’s.«
»Genau darüber zerbreche ich mir ja den Kopf.«
»Herrgott, es war doch nur ein einziges Mal!«
Nun richtete Esther sich doch auf und sah ihm geradewegs in die Augen. Die Sorge, die er in ihnen sah, löste einen Anflug von Wut in ihm aus: Wut auf die verdammten Umstände, die ihnen schon jetzt den Boden unter den Füßen wegzogen,Wut auf den Schatten, den der Dämon warf, ganz gleich, wie tief er ihn hinabgestoßen haben mochte, Wut auf seine Unfähigkeit, die Zeit zum Stillstand zu bringen.
»Das ist es ja gerade: Anders hat dich nur ein einziges Mal berührt. Weil du es ihm erlaubt hast, aber danach nicht mehr. Niemand anders würde es ablehnen … könnte es ablehnen. Begreifst du? Anders’ Gabe macht den Dämon süchtig. Anders mag ein guter Herrscher sein, weil sich ihm niemand entziehen kann. Das heißt: bis vor kurzem. Dich hat es ja allem Anschein nach nicht allzu viel Kraft gekostet, dich von ihm abzuwenden.«
»Wenn auch, was kümmert es Anders? Ich habe meinen Job
erledigt und seine Stadt verlassen. Kann sein, dass daraus keine Freundschaft mehr wird, nachdem ich ihm kurzerhand seine Dienerin entführt habe, aber ich begreife nicht, warum dich das beunruhigt.«
Adam sah noch, wie Esthers Mundwinkel zuckten,
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