Nachtglanz - Heitmann, T: Nachtglanz
er mit so viel Würde, wie ihm mit seinen schmerzenden Gliedern möglich war, die Treppe hochkam.
Nie im Leben hätte Adam damit gerechnet, dass er sich eines Tages am Duschvorhang auf die Zehenspitzen hochziehen würde, um einen Blick auf seine blanke Kehrseite im Spiegel zu werfen. Aber die Mühe war es wert, denn die tiefrote, an manchen Stellen bereits ins Lila gehende Landkarte, die sich auf seinem unteren Rücken abzeichnete, war etwas, was er eigentlich niemals zu sehen gedacht hätte: Überbleibsel von Verletzungen, da der Dämon sie nicht sofort heilte.
Im Laufe der Zeit hatte Adam nämlich jede Menge Prellungen einstecken müssen, aber zu diesem Geflecht aus Blut unter der Haut war es nie gekommen. Dafür war der Dämon stets zu präsent gewesen, und er hasste jede Spur von vergangenen Ereignissen.
Mit der gleichen Hingabe studierte Adam die tiefen Kerben in seinen Handballen und betastete die Beule an seinem Hinterkopf, die mittlerweile auf das Ausmaß eines Hühnereis angewachsen war und scheußlich pochte.
Nur widerwillig stellte er seine Untersuchungen ein, weil der Gestank des geronnenen Blutes auf seiner Haut in seiner allmählich wieder funktionierenden Nase brannte. Kaum stand er unter der Brause, hörte er die Zimmertür aufgehen. Esthers Schritte, von denen er genau wusste, wie bei jedem einzelnen die Hüfte auf eine Weise mitschwang, die ihn um den Verstand brachte, hallten über den Holzboden. Hastig griff er nach der
Seife, als ihm bewusst wurde, wie viel Zeit er mit seiner Begeisterung für die Zeugnisse des Sturzes verschwendet hatte. Während er sich das Haar wusch, wurde es verdächtig still im Zimmer, und seine Fantasie begann, ihm Möglichkeiten auszuspinnen, woran das wohl liegen mochte. Eine sich auf dem Bett räkelnde Esther gewann den Wettbewerb der Tagträume.
Mit einem entschlossenen Griff stellte Adam das Wasser ab und verschwendete keine Zeit damit, sich abzutrocknen, sondern schlang sich das Handtuch kurzerhand um die Hüften.
Zu seiner Enttäuschung fand er das Zimmer leer vor. Irritiert blickte er sich um, plötzlich von dem Verdacht heimgesucht, dass etwas nicht stimmte.
Esthers Duft lag in der Luft, durchmischt von einer scharfen Note. Das ist Panik, schoss es Adam durch den Kopf. Vermutlich noch von ihrer Reaktion auf seinen Sturz. Nein, ganz frisch, raunte ihm sein Instinkt zu, doch er wollte es nicht glauben. Wahrscheinlich hat sie etwas unten im Esszimmer liegenlassen und wird gleich wieder zurückkommen. Gut gelaunt, mit einer Geschichte über Mrs Calvinstons Kochkünste auf Lager. Das Schicksal würde ihnen bestimmt noch Stöcke zwischen die Beine werfen, aber doch nicht jetzt schon, verdammt.
Sieht so aus, als wäre der Frühling deiner Menschlichkeit gerade beendet worden, flüsterte der Dämon, als verrate er gerade ein Geheimnis.
»Blödsinn!« Adam konnte nicht anderes, er musste brüllen.
In diesem Moment fiel sein Blick auf einen Zettel auf der Tagesdecke des Bettes, abgerissen von einem Notizblock. Er wagte es nicht, ihn anzufassen, sondern sah lediglich auf ihn hinab, während er zu atmen aufhörte, als wäre ihm das Leben schlagartig entwichen.
Nur ein eilig hingeschriebener Satz, doch er brannte sich Adam ein.
Es ist es wert gewesen, aber jetzt ist es vorbei.
Esther
PS: Wegen des Wagens tut es mir leid. Entschuldige .
Während die Worte als vielstimmiges Echo durch sein Inneres hallten, hörte er draußen seinen Wagen starten. Mit einem Sprung war er beim Fenster, aber er sah nur noch, wie der Jaguar um die Ecke bog.
Wie von Sinnen jagte er die Treppe hinunter, um in der Lobby beinahe mit Mrs Calvinston zusammenzustoßen, die eine Blumenvase in den Händen hielt. Fluchend wich Adam der Frau aus, die vor Überraschung nach Luft schnappte, und packte sie schnell am Ellbogen, bevor sie noch ihr Gleichgewicht verlor und stürzte.
»Ich will wissen, warum Esther weggefahren ist«, herrschte er sie an.
Mrs Calvinston blinzelte ihn verständnislos durch ihre Brille hindurch an. »Ich habe auch einen Wagen starten gehört … War das etwa Ihre Frau? Ich dachte, es wäre der andere Gast.« Noch einmal flackerten ihre Lider, dann wurde ihr anscheinend bewusst, in welchem Aufzug Adam vor ihr stand. »Haben Sie die Kleine vielleicht erschreckt? Junge Ehefrauen brauchen immer eine Zeit, bevor sie …«
»Reden Sie keinen Unsinn. Sagen Sie mir lieber, was genau passiert ist, nachdem ich aufs Zimmer gegangen bin.«
Allerdings prallte sein scharfer
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