Nachtglanz - Heitmann, T: Nachtglanz
auf, und sie sträubte sich gegen die Umarmung. Dann wurde ihr bewusst, wie typisch ihre Reaktion war: Auf Distanz gehen, niemanden an sich heranlassen, denn nur dann würde ihre Camouflage nicht auffliegen. Nur, dass es dafür bereits zu spät war. Außerdem … sie hatte für Adam ohnehin schon mit ihren Regeln gebrochen, sich jetzt vor ihm gehen zu lassen, war da geradezu konsequent. Von einem Zittern heimgesucht, schmiegte sie sich an seine Brust, und er hielt sie, bis der Druck in ihrem Inneren endlich wieder abnahm.
»Du sprichst von deiner Mutter in der Vergangenheit. Ist sie denn gestorben?«
»Vor sieben Jahren. Aber gestorben war sie für mich schon vor acht Jahren, als ich Irland verlassen habe, um nicht das gleiche Schicksal zu erleiden. Mein Vater hat das nicht akzeptieren können, für ihn war das nichts als Verrat gewesen, eine Herabsetzung seiner Lebensführung. In Wirklichkeit war er nur rachsüchtig, weil er zurückblieb. Er hat den Kontakt unterbunden, wo er nur konnte.«
»Vor acht Jahren also. Wie alt bist du denn bei deiner Auswanderung gewesen?«
»Knapp vierzehn.«
Adam pfiff leise durch die Zähne. »Warst du nicht zu jung, um ohne deine Eltern zu gehen?«
Anstelle einer Antwort gab Esther lediglich ein nichtssagendes Brummen von sich. Sie hatte die Decke ein Stück beiseitegezogen und damit angefangen, mit dem Zeigefinger Kreise auf Adams Oberschenkel zu ziehen. Entzückt beobachtete sie,
wie sich die feinen Haare aufstellten, gerade so, als wohnte ihrer Berührung ein Stromstoß inne. Jede von Adams Reaktionen auf sie war ein kleines Geschenk. Doch er war leider keineswegs so abgelenkt, wie sie es sich gewünscht hätte.
»Wie hast du die Zeitspanne zwischen der Auswanderung und deiner Ankunft in Los Angeles verbracht?«
»Ich habe mich über Wasser gehalten«, antwortete Esther in einem Ton, der klarmachen sollte, dass sie langsam das Interesse an dieser Unterhaltung verlor. Sie mussten das Thema wechseln, sofort. Ansonsten würde sie seinem Drängen noch nachgeben und ihm alles erzählen.
Zuerst hauchte sie einige Küsse auf seine Haut unterhalb des Schlüsselbeins, dann biss sie spielerisch zu. Zu ihrer Erleichterung begann Adam, sich unter ihren Liebkosungen zu winden. Als sie bemerkte, wie seine Kehle sich bewegte, weil er trotzdem noch etwas sagen wollte, presste sie hastig ihre Lippen auf seinen Mund. Es gelang ihm gerade noch, ihren Namen zwischen den Küssen hervorzubringen, dann gab er sich geschlagen und überließ sich ihren Verführungskünsten.
26
Tief wie ein Gefühl
Das verwitterte Schild hätte ihnen eigentlich verraten müssen, dass das Ausflugslokal schon vor längerer Zeit seine Pforten geschlossen hatte. Ehrlich gesagt, war sich Adam sogar ganz sicher gewesen, denn seine Sinne hatten ihm nur alte menschliche Spuren gezeigt.Trotzdem hatte er zustimmend genickt, als Esther vorschlug, dem holprigen Weg auf der Suche nach einem Lokal zu folgen.
Denn obgleich es eigensüchtig war, verspürte Adam nur wenig Lust, die gemeinsame Zeit inmitten von Fremden zu verbringen, die laut lachten und ihre Gabeln voll Steakfetzen beim Reden durch die Luft schwenkten. Ein Ort, der nur ihnen beiden gehörte, war da eindeutig mehr nach seinem Geschmack, auch wenn er Esther damit um ihr Lunch brachte. Nicht, dass sie dringend schon wieder etwas in den Magen bekommen musste. Schließlich hatte sie am Morgen, als es ihr endlich gelungen war, seinen Armen zu entkommen, ganz unladylike das halbe Frühstücksbüfett leergegessen. Er hatte mit mühsam beherrschten Gesichtszügen nur einen Kaffee heruntergebracht, wobei ihn die Hotelbesitzerin Mrs Calvinston die ganze Zeit mit enttäuschter Miene im Auge behalten hatte.Vermutlich empfand sie es als Kränkung, wenn jemand ihrem mit viel Liebe zubereiteten Frühstück widerstehen konnte. Also hatte er einige Gabeln Rührei heruntergewürgt, was ihm noch immer nachhing. Eine weitere Mahlzeit würde er so schnell jedenfalls nicht verwinden.
Esthers Gespür für edel heruntergekommene Orte war wirklich sensationell. Wie die meisten Lokale, die in der Nähe der Küstenstraße zum Verweilen einluden, war auch dieses aus Holz erbaut. Mittlerweile war es grau und spröde, wodurch es sich perfekt in die Hügellandschaft mit ihren Nadelbäumen und Sträuchern einfügte. Skeptisch beäugte Adam die Terrasse, unter der der Abhang steil abfiel und in einem schmalen Streifen Sandstrand endete, weil die Brüstung an einigen Stellen eingebrochen war.
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