Nachtglanz - Heitmann, T: Nachtglanz
kleine Schwester, für die er auf Biegen und Brechen das Beste will.Wobei das Beste natürlich das ist, was Niall dafür hält.«
»Ich stimme dir ja zu, dass er ruhig etwas nachgiebiger mit dir umgehen könnte. Aber du darfst nicht vergessen, dass wir ohne ihn weder nach Amerika gekommen wären noch würden
wir heute Abend in feinem Zwirn auf der Dachterrasse eines vornehmen Clubs stehen.«
»Unsere Kleidung ist weder fein noch ist an diesem Laden von Nialls sogenannten Freunden irgendetwas Vornehmes dran. Es ist schlicht ein besser verpacktes Bordell, wohin die Herren ihre Geliebten mitnehmen können, ohne dass die sich mit einer schallenden Ohrfeige für die Abendgestaltung bedanken.«
»Da ist sie wieder, Eistirs größenwahnsinnige Sichtweise. Ohne Niall würdest du dich weiterhin mit Aushilfsjobs herumplagen müssen, bei denen man dich mit einer Handvoll angefaulten Kartoffeln und einem Paar Socken entlohnt. Stattdessen kannst du nun diese nette Ausbildung machen, in der man in geheizten Büros auf Schreibmaschinen tippt. Du glaubst wirklich, du hast was Besseres verdient, was, Süße?«
Für Dillon war das lediglich ihre typische Flachserei, aber Eistir konnte das unmöglich auf sich sitzenlassen. Mit einer kühlen Miene nahm sie sein Jackett von den Schultern und hielt es ihm entgegen. Er hob abwehrend die Hände, während das Lächeln eindeutig an Strahlkraft einbüßte.
»Nimm dein Jackett, oder ich lass es auf den Boden fallen. Ich will nichts Unverdientes, verstehst du? Ich bin keins von diesen billig zurechtgemachten Mädchen wie deine Caitlin, die an der Bar darauf warten, dass ihnen jemand eine Zukunft schenkt, bloß weil sie so süß anzusehen sind. Ich weiß zwar noch nicht, was genau es ist, aber ich kann etwas, und deshalb werde ich mir selbst etwas aufbauen.«
»Solche Reden schwingen und sich dann wundern, dass Niall die Nerven verliert.«
Dillon schüttelte zwar den Kopf, aber Eistir bemerkte trotzdem, dass er sie mit einer gewissen Achtung ansah. Genau so wollte sie von ihren Mitmenschen angesehen werden, und sie wusste, dass sie den nötigen Biss dazu hatte. Schließlich hatte
sie mit ihrem Elternhaus den schlimmsten Teil ihres Lebens hinter sich gelassen.
»Niall verliert leicht die Nerven, weil er seine Finger in zu vielen dreckigen Geschäften stecken hat«, hielt sie übermütig dagegen, wobei ihr die Spitze gegen ihren Bruder wie erwartet zusetzte. Ihr blieb jedoch nichts anderes übrig, als gegen Niall zu sticheln, wenn sie sich eines Tages aus seiner eisernen Fürsorge befreien wollte.
Nun fand Dillon sein Lachen doch wieder. »Na, wenigstens hat Niall seine Finger überhaupt irgendwo drin - im Gegensatz zu vielen anderen, die mit uns zusammen in New York angekommen sind. Und jetzt komm mit in die Bar, ansonsten taucht dein ungeliebter Bruder noch auf und hält dir eine Ansprache, die sich gewaschen hat.«
»Nun tu doch nicht so, als ginge es dir lediglich um mich. Du willst bloß schnellstmöglich zurück an die Bar, damit Caitlin dein Bett nicht mit dem eines anderen verwechselt.«
Sofort ging Dillon darauf ein, da ihm dieses Thema unendlich viel lieber war als die Geschäfte, denen Niall nun schon seit fast einem Jahr nachging. Geschäfte, die er zumindest vor seiner jüngeren Schwester gern verborgen hätte.Aber zum einen lebten sie dafür zu eng beisammen, und zum anderen war Eistir viel zu intelligent, um nicht zu begreifen, dass das florierendste Geschäft für irische Immigranten in New York die Mafia war.
Wenn man dem Kalender Glauben schenkte, dann hätte sich der Herbst von seiner goldenen Seite zeigen müssen. Stattdessen hatten die wenigen Bäume, die man überhaupt zu Gesicht bekam, ihr Laub bereits abgeworfen und streckten ihre toten Finger tagaus, tagein in den grauen Himmel.
Eistir trat vor dem Ladengeschäft unablässig von einem Fuß auf den anderen, was ihr jedoch wegen ihrer durchnässten Schuhe nicht weiterhalf. Ihre Zehen fühlten sich vor Kälte
schon ganz taub an.Tapfer ein Lied vor sich hinsummend, raffte sie den Pelzkragen ihres Mantels zusammen, wobei es ihr schwerfiel, den muffigen Geruch zu ignorieren. Dillon hatte ihn ihr vor einigen Tagen als Einstand für ihren ersten Job als Aushilfssekretärin in einer Werbeagentur geschenkt, und zunächst hatte sie ihn vehement abgelehnt.
»Nun sei nicht so schüchtern, schließlich hat er kein Vermögen gekostet. Ist doch nur ein gebrauchtes Stück«, hatte Dillon ihr, mit seiner Geduld am Ende,
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