Nachtglanz - Heitmann, T: Nachtglanz
uns gelassen hatten. Sondern es war noch um uns, wenn auch in einer anderen Gestalt. Irisches Blut und die Hoffnung auf ein besseres Leben vertragen sich nicht sonderlich gut.« Esther drehte das leere Wasserglas zwischen ihren Händen. »Ob diese Minibar da drüben wohl Scotch zu bieten hat? Ich könnte jetzt einen Schluck vertragen.«
Schweigend sprang Adam auf und kehrte im nächsten Augenblick mit einer kleinen Flasche zurück. Billiges Zeug, dachte Esther, während ihr die goldfarbene Flüssigkeit in der Kehle brannte. Durchaus passend zu der Geschichte über ein Mädchen mit dem irischen Namen Eistir, die ich gleich erzählen werde. Dieser alte Name klingt wie ein böses Omen. Als der Alkohol ihr den Bauch wärmte, streifte sie den Anflug von Selbstmitleid
ab und schenkte Adam einen direkten Blick, den er ohne Zögern erwiderte.
Dann mach ich mich mal auf den Weg zurück in die Hölle, dachte Esther, wobei ihr zu ihrer eigenen Verwunderung tatsächlich ein Lächeln gelang. Keins von der schönen Sorte, aber immerhin.
32
Eine unter vielen
Auch nach knapp vier Jahren hatte New York nichts von seinem faszinierenden Eindruck eingebüßt. Die Zwangspause in den Auffanglagern nach der Ankunft war in dem Augenblick verloschen, in dem die Türen hinter Eistir zugeschlagen wurden. Auch die ärmlichen Unterkünfte, das Warten auf einen Job, das man auf den verwahrlosten Straßen hinter sich brachte, waren vergessen. Sogar die scheelen Blicke derjenigen, die sich als Einheimische betrachteten, obwohl sie höchstens ein paar Jahre früher eingewandert waren, änderten nichts an dem glänzenden Bild, das sich tief eingeprägt hatte: eine strahlend erleuchtete Stadt voller Menschen, denen sich Möglichkeiten boten, wenn sie nur den rechten Willen an den Tag legten. Kein Vergleich zu dem endlosen Grün, dem sie den Rücken gekehrt hatten, wo Tatendrang und Hoffnung ins Leere liefen. Sogar Armut fühlte sich in New York anders an, wie ein bitterer Geschmack, den man schon bald mit etwas Süßem übertönen würde. Man brauchte nur die Fähigkeit auszuharren - und darin waren sie alle unschlagbar gut, diese Kunst hatten sie aus ihrer Heimat mitgebracht.
»Eistir! Was stehst du hier draußen herum, obwohl die Musik doch drinnen spielt?«
Mit einem ungeduldigen Handwedeln nahm Eistir ihrem nur ein knappes Jahr älteren Bruder den Wind aus den Segeln. »Na, dann solltest du keine wertvolle Zeit verschwenden und
sofort wieder umkehren, Dillon. Wer weiß, an welchem Hals deine Süße ansonsten hängt, wenn du zu lange wartest.«
»Mit siebzehn Jahren bist du eigentlich noch zu jung, um schon so zynisch zu sein. Zwischen Caitlin und mir, das ist Liebe! Wie kannst du daran nur zweifeln?« Es war genau diese überschwängliche und stets einen Hauch zu theatralische Art, die Eistir so sehr an Dillon liebte. Er brachte sie zum Lachen, und wenn sie nicht aufpasste, riss er sie in seinem Sturm mit sich, obwohl sie im Gegensatz zu ihm keine Flügel hatte. Dillon zwar auch nicht, aber das hinderte ihn keineswegs am Fliegen.
Heute Abend saß der jungen Frau der Schalk im Nacken, und sie hatte Lust, ihren Bruder ein wenig aufzuziehen.
»Wenn die Liebe zwischen dir und Caitlin so unendlich groß und alles übertreffend ist, dann brauchst du dir ja keine Sorgen zu machen. Andernfalls müsste man schon mit der Naivität eines Narren gesegnet sein, um einer ehemaligen Animierdame über den Weg zu trauen. Vor allem, wenn man sie sich selbst in einem Etablissement überlässt, das ihre frühere Spielwiese gewesen ist.«
Für einen Moment sah es ganz danach aus, als machte Dillon auf der Stelle kehrt, um sich mit eigenen Augen davon zu überzeugen, dass Eistir auf keinen Fall mit ihrer Andeutung Recht haben konnte. Dann breitete sich jedoch ein Lächeln über sein gesamtes Gesicht aus, jenes Lächeln, das einen in Brand setzen konnte.
Eigentlich wäre es nur fair gewesen, wenn Dillon an meiner Stelle die roten Haare von unserem Vater geerbt hätte. Zu seinem Naturell würden sie besser passen als zu mir, dachte Eistir wie schon unzählige Male zuvor - wohl wissend, dass Dillon ihr sofort widersprechen würde, weil er ihr Temperament für durchaus entzündbar hielt. Es mochte besser verborgen sein, aber sobald es erst einmal freigesetzt war, ließ es sich kaum bändigen.
In ihrer Familie gab es fast ausschließlich starke Persönlichkeiten, doch das Leben, das sie geführt hatten, drohte sie nach und nach zu zerbrechen. IhrVater war
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