Nachtglanz - Heitmann, T: Nachtglanz
Später beim Essen
hatte er ihr Apartment eine »Studentenbude« genannt und Witze darüber gemacht, dass sie eine wahre Magierin sein musste, da es ihr gelang, ihre Sammlung aus Schuhen und Kleidern auf so engem Raum unterzubringen.
Esther hatte gelacht und war selbst überrascht gewesen, wie echt es geklungen hatte, während ihr Magen eine einzige Eisgrube gewesen war. »Ich bin doch ohnehin nur zum Schlafen da, und dafür reicht der Platz allemal«, hatte sie ausweichend geantwortet.
Hayden hatte unvermittelt ernst ausgesehen und seinen Arm über den Tisch hinweg ausgestreckt, bis sie nicht anders konnte, als ihm die Hand zu reichen, wenn sie ihn nicht kompromittieren wollte. »Eine Frau wie du braucht eine andere Umgebung - und ich spreche hier nicht nur von mehr Platz oder gar von einem anderen Viertel. Ich spreche von einem anderen Leben.«
»Aber mir gefällt mein Leben. Es passt zu mir.« Es hatte fröhlich klingen sollen, aber Esther waren wider Willen die Gesichtszüge gefroren, und sie hatte zu zittern begonnen.
Hayden, der immer noch ihre Hand gehalten hatte, war das nicht entgangen. Er hatte sich so weit vorgelehnt, dass Esther schon befürchtet hatte, er könnte sich zu einer Dummheit hinreißen lassen. Ein kleiner wilder Teil von ihr hatte direkt darauf gehofft, der ansonsten stets würdevolle Hayden könnte ein ungeahntes Temperament offenbaren. Dabei war ihr durchaus bewusst gewesen, dass sie ihm das später nur schwer hätte verzeihen können.Temperament war etwas, auf das sie gut verzichten konnte.
Obwohl Esther sich Männern gegenüber stets um Zurückhaltung bemühte, hatte es seit ihrer Ankunft in L. A. einige Interessenten gegeben. Dass sie sich ausgerechnet für Hayden entschieden hatte, einen Mann um die vierzig mit schütter werdendem Haar, der einige Whiskeys brauchte, um von seiner
vor Jahren tödlich verunglückten Frau zu erzählen, hatte selbst Anders überrascht, der die besten Geschäftskontakte zu dem Anwalt pflegte. Aber Esther sah ein Versprechen in Hayden, das sie über den Altersunterschied von fast zwanzig Jahren hinwegblicken ließ, genauso wie über die Tatsache, dass er ein durch und durch ernsthafter Mann war. Dafür hatte er etwas zu bieten, von dem sie bis ans Ende ihrer Tage nicht genug bekommen konnte:Verbindlichkeit.
Haydens Naturell war von Standfestigkeit geprägt, die nicht einmal Anders’ Eröffnung über seine dämonische Natur aus dem Gleichgewicht gebracht hatte. Das einzige Anzeichen für seine Bestürzung hatte darin bestanden, dass er seine Pfeife im Büro angesteckt hatte - was er sonst nie tat.
»In diesem Fall hatte Hayden sich eine einmalige Ausnahme gegönnt, für die er sich später vermutlich selbst verklagt hat«, wie Anders stets mit einem breiten Grinsen erzählte. »Sieht ganz danach aus, als würde Pfeifentabak ihn auf eine Weise beruhigen, wie es bei anderen Leuten nur Whiskey mit Valium versetzt gelingt, wenn sie von der Existenz blutrünstiger Dämonen erfahren. Hayden ist ein ganz harter Hund. Den darf man auf keinen Fall unterschätzen, nur weil er mit seiner Charakterstärke nicht hausieren geht.«
Genau diese stoische Haltung machte Hayden zu einem hervorragenden Anwalt, aber in den Augen der meisten Frauen nicht unbedingt zu einem begehrenswerten Mann. Für Esther allerdings lag der Reiz gerade in dieser inneren Ausgeglichenheit, die sie wohl für immer mit dem Geruch nach Kirschtabak verbinden würde. Ein Leben an Haydens Seite war absolut vorhersehbar, eine gerade Straße mit einem einladenden Haus am Stadtrand. Genau das, was sie brauchte - für alles andere reichte ihre Energie nicht mehr aus. Sie sehnte sich mit jeder Faser ihres Körpers nach einem Ruhepol, dem es endlich gelang, die Vergangenheit auszumerzen.Wenn ihr nach Aufregung zumute
war, reichte es schließlich vollkommen, ein Buch aufzuschlagen und die Abenteuer von anderen mitzuerleben.
An jenem Abend hatte Hayden zu ihrer Erleichterung nichts weiter gesagt, sondern bloß still ihre Hand gehalten, bis sie sich so weit unter Kontrolle hatte, dass sie das Gespräch in unverfängliche Bahnen lenken konnte. Es war die Bestätigung für die Richtigkeit ihrer Entscheidung gewesen. Bis heute hatte sie es nicht bereut …
Esther biss sich auf die Unterlippe, weil der Satz sich wie eine Lüge anhörte. Sie hatte es nie bereut, bis auf gestern Abend, ergänzte sie schuldbewusst. Jedoch nur für die kaum nennenswerte Spanne, als das Klavierspiel eines anderen Mannes etwas in
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