Nachtglut: Roman (German Edition)
aus?«
Cecil sah sie im Rückspiegel an und sagte: »Er ist ein bißchen anders, Schatz, weiter nichts. Carl sagt, wenn man sich erst mal an ihn gewöhnt hat, fällt’s einem gar nicht mehr auf. Stimmt’s, Carl?«
»Stimmt, das hab ich gesagt.« Carl lümmelte vorn auf dem Beifahrersitz, die Schultern fast bis zu den Ohren hochgezogen, das Gesicht halb unter dem Hemdkragen, so daß sein Genuschel kaum zu verstehen war.
»Also, ich krieg die Gänsehaut, wenn ich den bloß anschau«, erklärte Connie unumwunden, als wäre Myron gar nicht da, um sie zu hören. »Der soll mich bloß nicht anlangen mit seinen weißen Spinnefingern.«
»Keine Angst, er kommt dir schon nicht zu nah«, beruhigte Cecil sie.
»Eins sag ich euch…« Sie sprach die Drohung nicht aus, sondern schloß wie schützend ihre Arme um ihren Oberkörper, wandte sich von Myron ab und starrte zum Fenster hinaus, obwohl es dunkel und nicht viel zu sehen war.
Myron döste während des kurzen Austausches mit hängendem Kopf vor sich hin. Ein Speicheltropfen hing an
seiner Unterlippe und drohte jeden Moment herabzufallen.
Cecil wünschte, Connie würde Myron nicht so heftig ablehnen, oder wenigstens ihre Meinung über ihn für sich behalten. Die Situation war schwierig genug, da brauchte es keine zusätzlichen Probleme. Über längere Zeit zu viert auf engem Raum zusammengepfercht, würden sie Spannungen gar nicht vermeiden können; aber wenn sie nicht bereit waren, die jeweiligen Eigenheiten zu tolerieren, konnten sich die Aversionen im Nu zur Katastrophe auswachsen. Carl hatte schon jetzt wieder mal eine Laune zum Fürchten.
Die Krawatte und das Jackett des Nadelstreifenanzugs, Teile seines Outfits für den Bankbesuch, lagen neben ihm. Die Anzughose und die gewichsten Straßenschuhe trug er noch. Cecil fragte sich, wo er die Montur geklaut hatte. Gekauft war sie bestimmt nicht!
In der Bank hatte Cecil seinen Bruder, der sich die Koteletten abrasiert und das Haar mit Gel an den Kopf geklatscht hatte, beinahe nicht erkannt. Aber ihr Zusammentreffen war geplant. Carls Verkleidung hatte Cecil im Moment irre gemacht, aber dann schnell überzeugt. Kein zufälliger Beobachter hätte den schnieken Yuppie mit dem geflohenen Sträfling in Verbindung gebracht. Genau das war das Besondere an Carl: seine unheimliche Cleverneß.
Aber dafür, daß er soeben einen tollkühnen Bankraub gelandet hatte, der ihm mehrere Hunderttausend gebracht hatte, wirkte Carl nicht sehr glücklich. Eigentlich müßte er jetzt doch auf Wolke sieben sein, ein Riesenhigh haben, den Erfolg feiern. Statt dessen hing er hier mit Leichenbittermiene rum. Cecil fühlte sich mulmig – er wußte aus Erfahrung, daß nie was Gutes dabei rauskam, wenn Carl in eines seiner schwarzen Löcher fiel.
In der Hoffnung, eine Katastrophe abzuwenden, versuchte er die Stimmung aufzulockern, indem er Carl in ein
Gespräch zog. »Wart ihr das, die neulich nacht das Ding in der Tankstelle gedreht haben?«
»Was glaubst denn du?« knurrte Carl.
»Hab ich mir doch gleich gedacht.« Cecil versetzte ihm einen freundschaftlichen Puff mit dem Ellbogen. »Hat mir ganz nach meinem kleinen Bruder ausgesehen!« Weniger gutmütig fügte er hinzu: »Das mit der Kleinen mußte wohl sein, hm?«
Carl drehte den Kopf. Seine Augen schienen sich an Cecils Gesicht festzusaugen.
Cecil lächelte nervös. »Na, du wirst zugeben, daß das ziemlich fies war, was ihr mit der Kleinen gemacht habt. Ich mein, ich versteh’s ja. Ehrlich. Weil, es heißt ja jetzt, daß es bei Vergewaltigung gar nicht um Sex geht, sondern um Beherrschung.«
Carl streckte seinen Arm auf der Rücklehne aus. »Ach was? Tatsächlich?«
»Ja, ich hab’s in America Undercover gehört. Du weißt schon, auf HBO.«
»Nein, weiß ich nicht. Da wo ich war, haben wir HBO nicht reingekriegt.«
Cecil wünschte verzweifelt, er hätte dieses Thema niemals aufs Tapet gebracht. »Die haben da eine Sendung über Vergewaltigung gebracht, und da haben sie das gesagt.«
»Tja, da sind sie aber ganz schön auf dem Holzweg. Ich hab in jedes Loch geschossen, das ich finden konnte, und keinen Moment dran gedacht, mich zu beherrschen.«
»Mensch, das ist ja widerlich.«
Die Worte kamen von Connie. Carl drehte sich nach ihr um. »Hat mit dir jemand geredet? Nein. Ich hab nicht gehört, daß irgend jemand was zu dir gesagt hat.«
»Connie, bitte«, flehte Cecil, um einen Streit zwischen Connie und seinem Bruder abzuwenden. »Sei still. Carl und ich unterhalten
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