Nachtglut: Roman (German Edition)
Schauen Sie!« Pete tippte auf eine Vergrößerung einer Schwarzweißfotografie, die Anna augenblicklich als eine ihrer frühen Arbeiten erkannte.
Dann wandte er sich ihr zu, so daß sie seine Lippen sehen konnte, und erklärte: »Vor ungefähr einem Jahr wollte ich den Leuten von der Fotoschule am College ein paar Neuheiten vorstellen, und da hab ich Ihr Werk an der Wand hängen sehen. Es gefiel mir ausgezeichnet. Ich fragte den Dozenten, ob er wüßte, wer die Aufnahme gemacht hätte, und er nannte mir Ihren Namen. Außerdem berichtete er, daß Sie gehörlos sind, und sagte, es sei ein Jammer, daß Sie das Studium aufgegeben hätten. Sie hätten mehr Talent als die meisten seiner Studenten. Ich mußte mir beinahe den Mund fusselig reden, aber am Ende hatte ich das Bild.«
Er betrachtete die Aufnahme mit unverkennbarem Wohlgefallen. Dabei handelte es sich um ein altes Haus. Es stand als dunkle Silhouette vor dem überbelichteten westlichen Abendhimmel. Das Ganze hätte unheilverkündend aussehen können, wäre nicht das Licht gewesen, das aus den erleuchteten Fenstern in hellen Flecken auf die Veranda fiel.
»Für mich ist das ›zu Hause‹. Ich bin auf einem Bauernhof aufgewachsen, der so ähnlich aussah. Das Bild hängt seit dem Tag, an dem ich es ergattert habe, hier an der Wand.
Und die Leute reagieren darauf. Es berührt sie. Ich hätte es bestimmt schon hundertmal verkaufen können, aber es ist mein einziges ›Anna Corbett‹, von dem trenne ich mich nicht. Sie sollten mehr machen.«
Sie hob die Tüten mit ihren Erwerbungen und schüttelte sie ein wenig.
Als er begriffen hatte, lächelte er noch breiter. »Wunderbar. Ich würd sie gern sehen, wenn sie fertig sind.« Er zog eine Visitenkarte aus seiner Brieftasche. »Hier sind meine Nummern – Geschäft und Privat. Wenn Sie irgendwas brauchen, rufen Sie mich ruhig an! Oder auch, wenn Sie nur mal über Fotografie quasseln wollen. Das Thema langweilt mich nie. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie sehr ich mich freue, Sie endlich kennengelernt zu haben, Mrs. Corbett.«
Emory Lomax rülpste in seine weiße Papierserviette, knüllte sie zusammen und packte sie zu dem Knochenhaufen auf seinem Teller.
»Na, hab ich zuviel versprochen? Waren die Spareribs nicht allererste Sahne?«
Mit dreien hatte er es zu tun: Connaught und zwei Vizepräsidenten. Connaught und der eine seiner Wasserträger saßen Lomax in der Nische gegenüber. Der dritte Mann teilte die Bank mit Lomax.
So steif und verklemmt, daß sie kaum den Mund aufbrachten, murmelten sie zustimmend, das Essen sei in der Tat ausgezeichnet gewesen. Emory, ganz der großzügige Gastgeber, winkte der Bedienung und bestellte noch eine Runde Bier. Normalerweise trank er zum Lunch nichts Stärkeres als Eistee – aber der paßte heute nicht. Bier war kein sehr elegantes Getränk im Vergleich mit den Martinis und alten Whiskys, die sie wahrscheinlich zu trinken pflegten. Aber Bier gehörte zum Barbecue, und er hatte die Bande in den besten Barbecue-Schuppen in Ost-Texas geführt. In einem schnittigen Firmenjet, worin man sich bestens einen
James-Bond-Bösewicht hätte vorstellen können, waren sie von Houston hergeflogen. Emory holte sie am Blewer-County-Flughafen ab, der nichts weiter war als ein holperiger Betonstreifen mit einem Wellblechhangar und zwei Zapfsäulen auf einer ehemaligen Kuhweide.
»Als erstes muß der Flughafen gründlich auf Vordermann gebracht werden«, bemerkte Emory, als er sie zu seinem Wagen brachte – dem Jaguar, der sein ganzer Stolz war. »Sobald Phase eins auf dem Weg ist, sollten wir hier mit den Modernisierungsarbeiten anfangen, damit die Wochenendgäste bequem einfliegen können. Was meinen Sie?«
Nach einem Blick zu Connaught nickten die beiden Wasserträger einmütig wie zwei Marionetten. Sie waren zugeknöpft und unverbindlich, aber Emory konnte das nicht schrecken. Er ahnte, was es damit auf sich hatte. Es gehörte zur Inszenierung. So machten die Bosse ihre Geschäfte. Man konnte von ihnen nur lernen.
Emory spürte jetzt, da sie mit dem Essen fertig waren, ihre Ungeduld. Connaught warf von Zeit zu Zeit einen angewiderten Blick auf die Jukebox, die während ihrer Mahlzeit unaufhörlich gedudelt hatte, und sah in regelmäßigen Abständen auf die brillantenbesetzte goldene Uhr, die er am linken Handgelenk trug. Sobald die Kellnerin die vier Bierflaschen auf den Tisch gestellt hatte, kam Emory zur Sache.
»Der Deal ist im Sack. Die Corbett-Ranch gehört uns
Weitere Kostenlose Bücher