Nachtglut: Roman (German Edition)
geduckt zum Heck des anderen Streifenwagens. Er schlich auf die rechte Seite hinüber und schob den Kopf um die Ecke, um nach vorn sehen zu können. Halb in der offenen Tür hing der jüngere Deputy.
Der alte Sheriff rannte zu ihm. Das Mikrofon lag in seiner leblosen Hand. Unter ihm hatte sich eine Menge Blut gesammelt, das aus seinem Bein geströmt war. Offenbar hatte ihm eine Schrotladung das Knie zerschmettert. Er war kaum bei Bewußtsein. Ezzy klopfte ihn leicht auf die Wangen.
»Steve! Ich bin’s, Ezzy. Hilfe ist schon unterwegs, mein Junge. In welche Richtung ist er abgehauen?«
In all den Jahren als Deputy und später als Sheriff hatte Ezzy nie davon gehört, daß jemand einen Polizisten erschossen hatte und dann zu Fuß geflohen war, obwohl ein Auto zur Verfügung stand. Selbst angenommen, der Wagen des Täters war nicht mehr fahrtüchtig, wieso hatte der Kerl sich nicht einfach in den Streifenwagen gesetzt? Wenigstens für ein paar Kilometer. Sehr sonderbar, diese Geschichte.
Der junge Jones schien im Schock zu sein. Sein Gesicht war bleich und schweißnaß. Er biß die Zähne zusammen, um zu verhindern, daß sie aufeinanderschlugen.
»Hat er Jim erwischt?«
»Leider, ja.«
»Diese Mißgeburt. Wie ein – ein Gespenst!«
Ezzys Herz schien einen Schlag auszusetzen. »Groß und schlaksig?«
Jones nickte. »Was ist mit meinem Bein?«
»Ach, das wird schon wieder«, versicherte Ezzy, obwohl er dessen gar nicht so sicher war. »War der Kerl allein?«
»Ja. Sie müssen ihn schnappen, Ezzy.«
Ezzy hatte gehofft, daß der Junge das sagen würde. »Soll ich nicht warten, bis …«
»Nein, nein. Schnappen Sie ihn. Er ist da rübergegangen.« Er zeigte die Richtung mit einer Kopfbewegung an.
»Zu Fuß?«
»Ja. Und geblutet hat er. Ich glaub, ich hab ihn getroffen.«
Ezzy klopfte ihm auf die Schulter. »Gut gemacht, mein Junge.«
Dem jungen Deputy schossen die Tränen in die Augen. »Aber Jim hab ich im Stich gelassen.«
»Sie hätten nichts anderes tun können.«
Nachdem er dem Jungen noch einmal versichert hatte, daß der Rettungswagen in Kürze eintreffen würde, lief Ezzy zu seinem Auto zurück, obwohl seine arthritischen Knie bei jedem Schritt schmerzten, als würden sie mit einem Eispickel malträtiert. Aber wenigstens hatte er diese Gelenke noch.
Über Funk teilte er anderen Einheiten den genauen Ort der Schießerei mit. »Der Rettungswagen ist unterwegs«, sagte man ihm.
»Den Coroner brauchen Sie auch. Gehen Sie mit äußerster Vorsicht ran! Die Verdächtigen müssen noch in der Nähe sein, zu Fuß zwar, aber bewaffnet. Es könnte sich um die entflohenen Sträflinge Myron Hutts und Carl Herbold handeln.«
»Ezzy, hier spricht Sheriff Foster«, meldete sich der neue Sheriff in strengem Ton. »Sind Sie am Tatort?«
Die Antwort blieb Ezzy schuldig; auch noch, als der Sheriff seine Frage wiederholte. Er schaltete das Funkgerät aus und brauste los. Jedoch wollte er nicht zu schnell fahren, um keine Spur zu übersehen – aber auch nicht zu langsam, und die Kerle womöglich entkommen lassen.
Unablässig drehte er den Kopf von einer Seite zur anderen, in der Hoffnung, Myron Hutts zu sichten – und in der Hoffnung, ihn zu entdecken, bevor er von ihm entdeckt wurde. Weder Hutts noch Herbold würden jetzt irgendwelche Skrupel haben, den nächsten Polizisten abzuknallen.
Wär das nicht ein Ding, wenn Carl Herbold es schaffte, seine Drohung wahrzumachen? Welch ein Triumph für die
gesamte kriminelle Gemeinde, wenn es Herbold gelang, den Bullen umzulegen, der ihn als erster ins Gefängnis gebracht hatte. Herbold würde das leuchtende Vorbild aller Sträflinge werden.
Ezzy lachte, aber große Heiterkeit lag nicht in seinem Ausbruch. Cora würde es ihm nie verzeihen, wenn er sich von Carl Herbold killen ließe.
Er fuhr eine kleine Anhöhe hinauf und sah vor sich auf der rechten Seite die Corbett-Ranch liegen. Vorn in der Einfahrt standen ein Pick-up und ein Jaguar, Emory Lomax’ teures Stück. Der Überfall auf die Kollegen hatte ihn dieses Problem ganz vergessen lassen. Er …
Ezzy trat so hart auf die Bremse, daß sein Wagen sich drehte und in den Graben hinter der Einfahrt rutschte. Beinahe hätte er es übersehen – eine Blutspur, die aus dem hochstehenden Unkraut im Graben direkt zur Ranch führte.
Mit der Pistole im Anschlag stieg er aus dem Wagen, kauerte neben dem Masten nieder, der den schmiedeeisernen Torbogen trug.
Und in dem Moment hörte er das unverkennbare Krachen eines
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