Nachtglut: Roman (German Edition)
hatten.
Ihn bedrückte die dumpfe Leere, die ihm entgegenströmte, als er ins Haus trat. Cora war eine kleine Person; seltsam, daß ihre Abwesenheit ein solches Vakuum hinterlassen konnte. Er nahm den Hut ab und hängte ihn an den
Haken neben der Hintertür. In der Küche sah er, daß er vergessen hatte, die Kaffeemaschine auszuschalten. Das holte er jetzt nach.
Was, fragte er sich auf dem Weg in den Flur, sollte er mit dem Rest des Tages anfangen? Fernsehen? Die Auswahl an Seifenopern, Talk-Shows und Verkaufswerbung war nicht berauschend. Im Garten arbeiten? Zu heiß. Außerdem hatte er sowieso keine Begabung dafür. Cora behauptete, eine Pflanze brauche ihn nur kommen zu sehen und ginge lieber von selbst ein, als von ihm gemordet zu werden.
Diese ganze innere Debatte war nichts als Theater, das darauf abzielte, sein schlechtes Gewissen zu beschwichtigen. Er wußte ja längst, was er tun würde.
Ohne weiter gegen die Versuchung zu kämpfen, ging er in sein Arbeitszimmer und setzte sich an das große Rollpult, das er von seinem Vater geerbt hatte. Der war Eisenbahner gewesen und hatte jeden Tag an diesem Pult gesessen. Cora pflegte das gute Stück gewissenhaft mit wöchentlicher Politur. Ezzy sperrte die Rollklappe auf und schob sie hoch. Auf der Schreibplatte lag die Akte McCorkle.
Er schlug sie auf und starrte auf das Schulabschlußfoto hinunter. Damals hatte er es ziemlich gemein gefunden, als Carl Herbold das Mädchen als eine »dicke Kröte« bezeichnete.
– »Ehe ihr sauberen Brüder hier raufgefahren seid, um den Laden auszurauben und nebenbei noch einen Polizisten außer Dienst zu töten, habt ihr unten am Fluß Patsy McCorkle umgebracht.«
Carl starrte durch das Gitter, als wäre er die personifizierte Unschuld. Dann warf er den Kopf zurück und lachte. »Ich weiß nicht, was Sie geraucht haben, Ezzy – aber Sie sind ja total durchgeknallt!«
»Alle, die an dem fraglichen Abend im Wagon Wheel waren, haben euch beide mit ihr weggehen sehen. Es gibt Dutzende von Zeugen.«
»’n Scheißdreck gibt’s«, zischte Carl wütend.
»Die Herren Herbold waren nicht mit ihr zusammen?«
»Doch, klar – oder genauer gesagt, sie war mit uns zusammen. Die hat sich an uns drangehängt, sobald wir reinkamen. Sie war blau. Und wir waren auf dem Weg dazu. Wir haben ein bißchen Spaß gehabt. Na und?«
»So wie ich’s gehört hab, habt ihr mehr als Spaß miteinander gehabt, Carl. Ihr habt angeblich die reinste Sexschau zum besten gegeben.«
Carl grinste und zwinkerte. »Tut Ihnen wohl leid, daß Sie’s verpaßt haben, Sheriff? Tja, wenn wir gewußt hätten, daß Sie interessiert sind! Wir hätten Patsy schon mit Ihnen geteilt. Läßt Ihre Frau Sie nicht ran?«
Hätte Ezzy Carl Herbold durch das Gitter erreichen können, er hätte ihm in diesem Moment vielleicht den Hals umgedreht und dem Staat Arkansas die Ausgaben für einen Prozeß und jahrelange Inhaftierung des Burschen in einem seiner Gefängnisse erspart. So aber unterdrückte er seinen Zorn und ging einfach davon, den höhnisch lachenden Carl Herbold zurücklassend.
Er hatte gehofft, aus Cecil, der nicht halb so frech war wie sein jüngerer Bruder, mehr herauszubekommen. Aber der bestätigte nur Carls Aussage.
»Ja, stimmt, wir haben mit Patsy getanzt und so, aber wir sind nicht mit ihr zum Fluß runter. Wir sind fast die ganze Nacht gefahren und haben morgens um zwanzig nach sieben den Laden überfallen.«
Das entsprach den Tatsachen. Ezzy hatte den Polizeibericht über das Verbrechen gelesen, das den Herbolds ironischerweise ein Alibi für den Mord an Patsy McCorkle lieferte. Aber er war den gleichen Weg gefahren wie in jener Nacht die beiden Burschen. Es handelte sich um etwas mehr als vierhundert Kilometer. Sie hätten es seinen Berechnungen nach dennoch schaffen können, mit Patsy zum Fluß zu fahren, dort mit ihr ihre Spielchen zu treiben und vor sieben
Uhr zwanzig in Arkadelphia zu sein. Auch der Zeitpunkt von Patsys Tod, wie er von Stroud festgestellt worden war, sprach nicht dagegen.
»Cecil, alle in der Kneipe haben Sie und Carl mit dem Mädchen gesehen. Soweit ich hörte, habt ihr drei selbst für diese Spelunke eine ziemlich aufsehenerregende Vorstellung gegeben. Ihr wollt mir doch nicht weismachen, daß ihr nach dem ganzen Theater, dem vielen Alkohol, der Tanzerei, dem Geknutsche, keinen Sex mit ihr hattet.«
Cecils Blick huschte unstet durch die Zelle. Der Junge kaute einen Moment auf seiner Unterlippe. »Okay, okay«, sagte er
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