Nachtglut: Roman (German Edition)
gehört. Noch ehe die Polizei bekanntgab, daß sein Bruderherz der Tat verdächtigt wurde, ahnte Cecil die Zusammenhänge. So wie das Ding gelaufen war, klang es typisch nach Carl.
Dieser Idiot! Er sollte sich doch ruhig verhalten, keinen Wirbel machen, nichts tun, was den Bullen dazu dienen konnte, seine Spur aufzunehmen. So hatte es der vereinbarte Plan vorgesehen.
Aber Carl hatte noch nie den vernünftigen oder sicheren Weg eingeschlagen. Sein ganzes Leben nicht. Der war schon als Irrer zur Welt gekommen und hatte immer getan, was ihm gerade in den Kopf schoß.
Sich tatsächlich an einer Vierzehnjährigen zu vergreifen! Er hatte ja immer schon die ganz Jungen gemocht, aber eine Vierzehnjährige – Scheiße, das war echt krank. Gestern in der Arbeit hatte der alte Reynolds bei jedem einzelnen Blick praktisch vor ihm ausgespuckt. Die Kollegen behandelten ihn wie einen Aussätzigen. Lauter Arschlöcher! Er war gar nicht scharf auf ihre Freundschaft; aber verdammt noch mal, sie sollten auch nicht glauben, ihm wär’s recht, wenn Carl Kinder vergewaltigte.
Das Telefon läutete. Cecil fuhr zusammen. Er packte den Telefonhörer beim zweiten Läuten. »Hallo?«
»Hallo, Schatz!«
»Oh, du bist’s«, sagte er aufatmend. Es war seine Freundin. »Von wo rufst du an?«
»Münztelefon.«
Anders als sein Bruder hielt sie sich an die Anweisungen. »Braves Mädchen.«
»Was tust du gerade?«
»Ach, bißchen faulenzen, fernsehen.«
»Klingt nicht besonders lustig.«
»Ist es auch nicht.«
»Soll ich nach der Arbeit rüberkommen?«
Er war versucht, ja zu sagen. Sie kannten einander noch nicht sehr lange, aber er war total verknallt. Es hieß, wenn man sich wirklich verliebte, dann wüßte man es. Jetzt wußte er, daß der Spruch stimmte. Noch nie war er so weg gewesen von einer Frau.
Sie sah klasse aus. Blond. Mochte er sowieso am liebsten. Eine Figur, daß sich alle Männer nach ihr umdrehten. Er genoß es, mit ihr unter Leute zu gehen und zu sehen, wie sämtliche anwesenden Typen vor Neid erblaßten.
Aber es war nicht ihr Aussehen allein. Sie war gescheit. Gescheiter als er wahrscheinlich. Und sie war taff – ließ sich von niemandem was gefallen. Außerdem war sie im Bett immer bereit, was Neues auszuprobieren. Daß er mal im Knast gesessen hatte, störte sie nicht. Im Gegenteil, sie schien es aufregend zu finden. Er brauchte nur an sie zu denken, und schon kriegte er einen Ständer, aber Vorsicht war die Mutter der Porzellankiste.
»Ich würd dich wahnsinnig gern sehen, Süße – bloß diese Geschichte mit meinem Bruder… Der verdammte Idiot, der legt’s ja förmlich drauf an, daß sie ihn abknallen.« Und für den Fall, daß die Leitung angezapft sein sollte, fügte er hinzu: »Solang sie ihn nicht wieder eingefangen haben, muß ich einfach allein sein.«
»Du Armer!«
»Aber unsere Verabredung Ende nächster Woche steht, oder?«
»Klar, Schatz. Bis dahin muß es eben der Vibrator tun.«
Cecil stöhnte laut.
Lachend sagte sie: »Aber so gut wie du ist er nicht, Schatz. Du fehlst mir.«
»Du mir auch. Bis bald!«
Er legte auf und rannte durchs Zimmer zum Fenster. So ein dünnarschiger Rennradler in Latexshorts und einem Stromlinienhelm sauste vorbei. Ein Briefträger ging, seinen Karren vor sich her schiebend, die Straße runter und stopfte Post in die Kästen. Cecil sah nichts Beunruhigendes.
Wenn es den Bullen gelang, ihren Anruf zurückzuverfolgen, würde sie längst weg sein, bis sie kamen. Cecil hatte sie in die Schule genommen. Er hatte ihr erklärt, daß man, wenn man nur bedingt entlassen war, nicht vorsichtig genug sein konnte – auch wenn ihr alle diese Maßnahmen vielleicht albern und übertrieben vorkämen.
Er war vorsichtig bis ins kleinste gewesen. Jede Winzigkeit hatte er beachtet, damit nur ja nichts schiefgehen konnte. Aber Carl schien alles dranzusetzen, Sand ins Getriebe zu bringen. Sie hatten ausgemacht, sich strikt an den Plan zu halten. Na, wenn er Carl erst vor sich hatte, würde er ihn zur Schnecke machen.
Inzwischen mußte er was tun … den Bullen ein falsches Signal geben. Er konnte nicht hier in der Bude rumhängen, von einem Fenster zum anderen rennen und sich von der Paranoia auffressen lassen. Am besten brachte er sie durcheinander, führte sie in die Irre, veranlaßte sie, an der Richtigkeit ihres Verdachts zu zweifeln und, hoffentlich, in ihrer Wachsamkeit nachzulassen.
Aber wenn das Manöver Sinn machen sollte, mußte es was Gewagtes sein, was
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