Nachtglut: Roman (German Edition)
hart. Aber irgend etwas an ihm stimmte nicht, und genau wie Delray machte sie das mißtrauisch. Der Gedanke, daß es da eine Verbindung zwischen ihm und den Herbolds geben könnte, ängstigte sie.
Keinesfalls würde sie in Panik die Flucht ergreifen. Aber sie würde aufatmen, wenn Carl Herbold erst wieder in Gewahrsam war und sie endlich wußte, ob Jack Sawyers plötzliches
Erscheinen auf der Ranch damit zusammenhing – oder auch nicht.
Was Cecil anging – warum war er heute auf die Ranch gekommen? Delray berührte ihre Hand, um sie auf sich aufmerksam zu machen, und sie schüttelte die quälenden Gedanken ab. »Was ist los, Anna?«
Nichts, bedeutete sie ihm.
»Na hör mal, das kannst du mir nicht weismachen! Du warst meilenweit fort. Ich weiß …«
»Natürlich machst du mir Kummer. Du sollst ganz schnell wieder gesund werden.«
»Ich werd mich bemühen, Anna«, gelobte er. »Aber wenn ich es nicht schaffe …« Sie wollte ihn unterbrechen, was er jedoch nicht zuließ. Einen Moment hielt er ihre Hände fest und sagte: »Hör mal, Anna, wir müssen einiges besprechen für den Fall, daß es nicht so gut läuft.«
Anna hoffte, es käme jetzt nicht zu Geständnissen, die sie beide später bedauern würden. Zu ihrer Erleichterung begann er von geschäftlichen Angelegenheiten zu sprechen.
»Verwende das Geld, das wir für Davids Ausbildung auf die Seite gelegt haben, auf keinen Fall für etwas anderes. Ganz gleich, wie schwierig das Leben vielleicht wird oder wieviel Druck dieser Lomax macht, laß das Sparkonto unangetastet.«
Sie versprach es ihm und bat ihn, sich nicht mit solchen Dingen zu belasten. »Bitte, ruh dich jetzt aus!«
Er runzelte die Stirn. »Ausruhen kann ich mich noch lange genug, wenn wir alles besprochen haben.« Er sah ihr ins Gesicht. »Anna«, sagte er. »Ach, Anna!«
Sie las ihren Namen auf seinen Lippen und spürte, daß er ihn mit tiefer Liebe sprach. Es machte sie nervös, aber sie konnte ihn nicht daran hindern auszusprechen, was er auf dem Herzen hatte.
»Ich habe mich unmöglich benommen, als Dean mir damals
eröffnete, er wolle dich heiraten. Dafür möchte ich dich jetzt um Verzeihung bitten.«
Sie hätte am liebsten gelacht vor Erleichterung. »Delray, das ist ewig her. Darüber sind wir doch längst hinaus und reden nicht mehr davon.«
»Ich weiß, aber trotzdem möchte ich dich um Verzeihung bitten. Du hast Dean gutgetan. Und mir auch. Besonders nach seinem Tod.«
Zum Zeichen ihres Verständnisses lächelte sie.
»Es fällt mir entsetzlich schwer, dich allein lassen zu müssen. Ich vererbe dir und David einen Haufen Probleme.«
»Du wirst uns nicht verlassen. Mach dir keine Gedanken – Hauptsache, du wirst gesund und kommst wieder nach Hause.«
»Ich muß mir Gedanken machen, Anna. Für den Fall, daß ich nicht wieder gesund werde.«
Ihre Augen wurden naß. »Du mußt gesund werden, Delray. Sonst enttäusche ich Dean so furchtbar. Bevor er gestorben ist, habe ich ihm nämlich versprochen, für dich zu sorgen. Und das möchte ich auch einhalten.«
Er griff wieder nach ihrer Hand. Diesmal drückte er sie an seine Brust. Selten berührte er sie. Ja, er pflegte jeden physischen Kontakt bewußt zu meiden. Diese zutiefst persönliche Geste zeigte, wie wichtig ihm dieses Gespräch war. Er unterließ es sogar, in Gebärdensprache mit ihr zu sprechen – weil er dann ihre Hand hätte loslassen müssen. Sie las ihm die Worte von den Lippen ab.
»Du hast dein Versprechen gehalten, Anna, und es hat dich einen hohen Preis gekostet. Nein, ich weiß das«, sagte er, als sie ihm ihre Hand entziehen wollte, um zu widersprechen. »Das Zusammenleben mit mir war nicht leicht für dich. Und – und nicht besonders heiter. Ich war egoistisch.«
Sie schüttelte den Kopf.
»Doch, doch. Von diesem Leben habe ich viel mehr gehabt als du und David.«
Anna hatte Delray noch nie weinen sehen, nicht einmal am Grab seines Sohns. Die Tränen in seinen Augen unterstrichen jetzt zusätzlich, wie tief die Gefühle gingen, mit denen er sich plagte.
»Als Dean starb, hatte ich Angst, du würdest mit David von der Ranch weggehen und irgendwo anders ein neues Leben anfangen. Das hättest du tun können – vielleicht sogar tun sollen. Wie dem auch sei, ich danke dir, daß ihr bei mir geblieben seid.«
Wieder wollte sie ihre Hand wegziehen, um ihm zu antworten, aber er hielt sie unbeirrt fest.
»Bitte, laß mich aussprechen. Jetzt, wo ich schon mal angefangen habe. Ich habe kein großes
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