Nachtglut: Roman (German Edition)
letzten Stunden noch einmal Revue passieren.
Es hätte nicht besser laufen können. Ein absolut perfekter Tag, wie aus dem Bilderbuch! Das Hauptglück war die Krankheit des Alten, womit er niemals gerechnet hatte. Einem anderen wäre diese verblüffende Neuigkeit vielleicht wie ein schlechtes Omen vorgekommen. Einer mit weniger Phantasie hätte daraufhin sicher unverzüglich das Handtuch geworfen und den Rückzug angetreten.
Aber nicht er. Er hatte die Gunst der Stunde erkannt und gründlich ausgeschlachtet.
Nur mit der Absicht war er nach Blewer gefahren, mal bei dem alten Mistkerl auf der Ranch vorbeizuschauen, damit die Bullen, die ihn überwachten, es weitermelden konnten – um dann gemütlich wieder nach Hause zu gondeln. Bei der späteren Befragung würde Delray die Wahrheit sagen, weil Delray Corbett niemals log. (Wie oft hatten er und Carl sich das anhören müssen, wenn sie ihn um ein Alibi gebeten hatten: »Fällt mir nicht ein, für euch jämmerliche Burschen zu lügen.«)
»Cecil ist nach Hause gekommen, weil er mich um Verzeihung bitten wollte«, würde Delray sagen. Ob er sie gewährt hatte oder nicht, würde nichts zur Sache tun. Zählen würde einzig Delrays Aussage, daß Cecil da gewesen war, um all seine Schuld einzugestehen.
Damit allein wäre der Tag schon ein Erfolg gewesen.
Aber dank Delrays Krankheit hatte er noch einen draufsetzen können, indem er sämtliche Leute im zweiten Stock des Memorial Krankenhauses an seinem Schmerz und seiner Bekümmerung, seiner Reue und Zerknirschung teilhaben ließ.
Als ihm der Zutritt zur Intensivstation verwehrt worden war, hatte er eine Riesenszene hingelegt. Aber freilich nicht mit Gebrüll oder Toben, wie Carl das getan hätte! Das wäre die falsche Taktik gewesen. Kummer und Tränen wirkten da viel ergreifender. Alle im Warteraum vor der Intensivstation hatten sich voller Mitgefühl mit ihm gezeigt, als die knallharte Stationsschwester ihn frostig abfertigte: »Tut mir leid, Mr. Herbold, auf Wunsch der Familie sind keine Besuche bei Mr. Corbett gestattet.«
»Aber ich gehör doch zur Familie«, hatte er mit einem trockenen Schluchzer gestammelt und es dann sogar geschafft, ein paar Tränen herauszupressen. »Wo ich doch dazugehör …« Seine Stimme war direkt ein bißchen brüchig geworden, und da hatte er den Leuten natürlich noch mehr leid getan. »Ich gehe erst, wenn ich meinen Stiefvater gesehen habe. Bevor er stirbt, muß ich ihm unbedingt noch etwas sagen. Weiß er, daß ich hier bin? Haben Sie ihn gefragt, ob er mich sehen will?«
Tatsächlich wäre der Alte wahrscheinlich auf der Stelle krepiert, wenn er einen Herbold in der Nähe vermutet hätte.
Cecil war der alte Knacker scheißegal, ob er nun lebte oder starb. Im Grund fand er es recht angenehm, einem Zusammentreffen mit ihm entgangen zu sein. Er war bereit gewesen, zu Kreuze zu kriechen und vor Delray auf die Knie zu fallen – wenn das nötig gewesen wäre, um seinem Auftritt mehr Überzeugungskraft zu verleihen. Aber glücklicherweise mußte er nicht bis zu diesem Extrem gehen. Außerdem war Delray nicht so leicht hinters Licht zu führen. Der hätte sicher schroffer reagiert als der Sicherheitsmensch
vom Krankenhaus, der schließlich geholt wurde.
Brösel von dem Muffin, das er gerade zum zweiten Frühstück vertilgt hatte, hingen noch in seinem Schnurrbart, als er Cecil entgegengewatschelt kam, um sich nach dessen Begehr zu erkundigen.
Cecil hatte es ihm erklärt.
»Na ja, ich kann verstehen, daß Sie das mitnimmt«, lautete dann sein Bescheid. »Aber Sie stören andere, und hier im Krankenhaus können wir solchen Tumult nicht dulden.« Er schlug Cecil vor, zu einer günstigeren Zeit wiederzukommen.
Als Cecil sich weigerte, sah der Wächter ratlos die Schwester an, die daraufhin die zuständige Polizei anrief.
Der Polizist war alt und müde, und es interessierte ihn im Grunde einen Dreck, ob Cecil zu seinem Stiefvater durfte oder nicht. Aber über die Brüder Herbold wußte er Bescheid.
»Sie verstoßen gegen die Auflagen der bedingten Haftentlassung«, sagte er streng.
»Nein, Sir. Ich hab die Genehmigung, meinen Stiefvater zu besuchen. Unter der Bedingung, daß ich heut abend wieder zurück bin und mich melde. Hier haben Sie die Nummer von meinem Bewährungshelfer. Rufen Sie ihn an und fragen Sie.«
Der Beamte hatte die Geschäftskarte genommen, die Cecil ihm hinhielt, und die darauf angegebene Nummer gewählt. Auf seine Frage erfuhr er, daß Cecil tatsächlich den
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