Nachtglut: Roman (German Edition)
da.
Wie durch Zauber erschien sie in Carls Hand.
»Denken Sie lieber gar nicht erst dran, auf den Alarmknopf zu drücken«, rief er im gleichen höflichen Ton, in dem er zuvor seinen Bruder gefragt hatte: »Sagten Sie etwas?« Wenn die Situation nicht so angespannt gewesen wäre, hätte Cecil sich über die Maske und das Yuppie-Getue seines Bruders kaputtgelacht.
»Leeren Sie einfach ruhig und ohne Aufsehen Ihre Geldschublade aus, dann passiert niemandem was.«
Zu der Angestellten, die ihn bediente, sagte Cecil: »Ich nehme das gleiche wie er«, und zog die Pistole, die unter seinem Hemd im Hosenbund steckte, seit er am Morgen seine Wohnung verlassen hatte.
Hinter sich hörte er seinen Kollegen »Scheiße!« knurren.
»Ich möchte alles Geld, das Sie freitags da haben«, sagte Cecil zu der Angestellten.
Freitags war Zahltag bei der Reifenfabrik außerhalb des Orts. Die Arbeiter und Angestellten pflegten hier ihre Schecks einzulösen. Darum verfügte die Bank freitags immer über besonders viel Bargeld.
»Oh, mein Gott«, wimmerte die Frau hinter Carls Schalter.
»Schnauze oder ich knall dich ab«, knurrte Carl.
Die Angestellte, die Cecil bediente, war entgegenkommender. Sie brachte einen Leinensack zum Vorschein, der mit Scheinen vollgestopft war. »Danke«, sagte Cecil höflich, als sie ihn über die Theke schob.
»Connie, bist du verrückt?« zischte ihre Kollegin.
»Ich laß mich doch wegen diesem blöden Bankjob nicht umbringen.«
»Du vermasselst dir die Bewährung, Mann«, mahnte Pepe.
»’tschuldigung, Kumpel, ich bin gleich wieder weg.« Der Motorradfahrer war zurückgekommen. Er schob sich vor Cecil an den Schalter. »Hören Sie, ich hab draußen mein Geld nachgezählt und – was zur Höl …«
Cecil rammte dem Motorradfahrer den Kolben seiner Pistole in den Mund und nahm dabei mehrere seiner Zähne mit. Das Blut, das auf Cecils Hemd spritzte, hatte die gleiche Farbe wie die Stickerei auf seiner Brusttasche.
Dann geschahen mehrere Dinge gleichzeitig.
»Du bist ja total durchgeknallt, Mann«, sagte Pepe, und Cecil fuhr ihn an, er solle das Maul halten.
Die Angestellte hinter Carls Schalter begann zu schreien und duckte sich unter den Tresen.
Carl fluchte. »Scheiße!«
Der Motorradfahrer taumelte unter der Wucht des Schlags nach rückwärts. Aber als er begriff, in was er da hineingeraten war, sprang er mutig nach Cecils Waffe.
Es war Carl, der ihn in den Hals schoß.
Nun brach die Hölle los. Bis zu diesem Moment hatte niemand, der nicht direkt betroffen war, gemerkt, daß sich da ein Raubüberfall abspielte. Jetzt begannen Männer und Frauen wild durcheinander zu schreien und Deckung zu suchen. Die junge Mutter kreischte entsetzt und warf sich
über ihr Kind, um es mit ihrem Körper zu schützen. Das Kind begann zu weinen.
»Myron!« brüllte Carl.
»Ja, Carl?«
»Her mit dem Sack.«
Myron hatte als Verkleidung eine strähnige schwarze Perücke und eine Baseballmütze auf dem Kopf. Seine auffallenden Albinoaugen waren hinter dunklen Gläsern verborgen. Wäre der Bankwächter nicht durch den momentanen Tumult am Schalter abgelenkt gewesen, wäre Myron vielleicht mit dem Matchsack, aus dem er eine Flinte mit abgesägten Läufen zog, bevor er ihn Cecil zuwarf, gar nicht an ihm vorbeigekommen.
Mit der Pistole in der Hand sprang Carl auf den Tresen und befahl den Leuten, unten zu bleiben, während Cecil mit dem Matchsack nach hinten ging und die Geldschubladen leerte.
Myron hielt den Bankwächter in Schach, der aussah, als würde er sich jeden Moment auf seine blank gewichsten Schuhe übergeben.
»Hey, du da«, brüllte Carl ihn an. »Hast du ’ne Waffe?«
»Ja, Sir«, antwortete der junge Wächter zähneklappernd.
»Nimm ihm die Waffe ab, Myron.«
Myron gehorchte. »Wenn er sich rührt, leg ihn um«, befahl Carl.
»Okay, Carl.«
Aber Myron verlor die Übersicht und ballerte blind drauf los, als unversehens zwei Polizisten in die Bank stürmten. Später hieß es in einem Artikel der örtlichen Zeitung, die beiden Streifenbeamten seien von einem Passanten darauf aufmerksam gemacht worden, daß in der Bank etwas nicht mit rechten Dingen zugehe.
Mutig, aber unbedacht warteten sie nicht auf Verstärkung, sondern drangen dort auf eigene Faust ein. Augenblicklich erfassend, was los war, griff der eine nach seiner Pistole.
Aber noch ehe er sie ziehen konnte, schoß Myron ihn mit der Flinte nieder. Als der andere seinen Kollegen, von Schrotkugeln durchsiebt, zusammenbrechen sah,
Weitere Kostenlose Bücher