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Nachthaus

Nachthaus

Titel: Nachthaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D Koontz
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begannen sie, zänkisch zu klingen. Julian stellte sich ein Dutzend Personen vor, vielleicht auch noch mehr, und ihre Stimmen kamen von allen Seiten, als müsse er von einer Versammlung eingekreist sein, die eigens hergekommen war, um ihn zu studieren, ihn zu analysieren. Ein Urteil über ihn zu fällen.
    »Wer ist da?«, fragte er. »Wer sind Sie? Was wollen Sie?«
    Als sich die Stimmen eng um ihn zusammenzudrängen schienen, ließen sie dennoch die Klarheit einer direkten Anrede vermissen, und er konnte sich ebenso gut vorstellen, dass diese Lautäußerungen aus anderen Räumen zu ihm getragen wurden, durch eine dazwischenliegende Wand oder Tür.
    Julian bewegte sich dahin, wo seiner Meinung nach die Mitte des Zimmers sein sollte, fand keine Möbel, die im Weg waren, und sagte lauter als zuvor: »Wo sind Sie? Was wollen Sie?«
    In den ersten ein oder zwei Jahren der Blindheit hatte er sich angreifbar gefühlt und sich ungebührliche Sorgen über zu viele Dinge gemacht, die ihm aufgrund seiner Behinderung zustoßen könnten. Aber man durfte nicht sein ganzes Leben damit verbringen, in jedem einzelnen Moment einen katastrophalen Sturz oder einen Angriff zu erwarten; Furcht erschöpft sich zudem rasch. Nachdem er vierzig Jahre lang erfolgreich ohne Sehkraft gelebt hatte, fühlte er sich zwar nicht unverwundbar, aber sicher genug, und mit der Zeit war er zu der Überzeugung gelangt, das Schlimmste, was ihm jemals zustoßen könnte, sei bereits passiert, als er elf Jahre alt war.
    Plötzlich prickelte seine Kopfhaut und sein Nacken wurde kalt, während sich die Furcht als so leicht abrufbar wie eh und je erwies. Der zänkische Klang der Stimmen verfinsterte sich zu bedrohlichen Tönen, und wieder hatte er das Gefühl, sie seien schockierend nah, die Sprecher schienen ihm nah genug zu sein, um ihn zu berühren. Als er die Hände ausstreckte, stellte er fest, dass er die Mitte des Zimmers verlassen haben musste, ohne es zu merken, denn er berührte eine Wand.
    Der Verputz vibrierte ihm Takt mit den Klangwellen der gesprochenen Worte des zornigen Chors, als kämen die Stimmen aus dem Inneren der Wand heraus.
    * * *

Sally Hollander
    Frei von jeglicher Empfindung lag sie immer noch auf ihrem Küchenboden. Unzusammenhängende Bilder von einer erlöschenden Identität erblühten in der weitgehend lichtlosen und überschwemmten Landschaft ihres Geistes. Sie schien vom Grund eines Teichs aufzublicken, durch Wasser zu einem Nachthimmel, und die Bilder wurden aus fetten Tropfen Licht geformt, die wie unbeständiger Regen fielen. Jeder Tropfen breitete sich zu Farben und Szenen aus, wenn er auf die Oberfläche des Teichs traf und mit ihr verschmolz; und jede Szene schimmerte einen Moment lang wie spiegelverkehrte Hinterglasmalerei, ehe sie in der sie umgebenden Dunkelheit zerfloss. Gesichter, die sie kannte, denen sie aber keine Namen mehr zuordnen konnte, Orte, die sie erkannte, aber nicht benennen konnte, Momente aus einer verlorenen Zeit, die eine Stunde oder eine Woche oder zehn Jahre zurückliegen mochten, glitten nacheinander über diesen ertränkenden Teich, anfangs farbig, aber dann in Schwarz-Weiß und Grautönen.
    Während sie im Schlick und Schlamm ihrer letzten Ruhestätte zu versinken schien und die nunmehr farblosen Momente eines erlöschenden Bewusstseins immer trüber wurden, überkam sie plötzlich eine unerträgliche zärtliche Sehnsucht, eine leidenschaftliche Nostalgie nach etwas, woran sie sich nicht erinnern konnte, nach etwas, das sie für alle Zeiten aus sich entweichen fühlte, und es setzte auch eine glühende Liebe zum Licht und zum Leben ein, zu allem, was man hören, riechen, schmecken, sehen und ertasten konnte. Diese heftigen Empfindungen schwollen an, bis sie das sichere Gefühl hatte, sie würde zerspringen – doch dann gingen sie vorüber.
    Danach stellten sich keine weiteren Empfindungen mehr ein. Alles wurde dunkel in ihr, ohne Lust oder Bedeutung, doch nach einer Weile bildete sich ein einziges Verlangen in ihr, aber nur dieses eine: zu töten. Sie war nicht mehr sie selbst, sie war jetzt eine Kreatur ohne Vergangenheit oder Geschlecht, durch den geschmeidigen grauen Angreifer in einen von seiner Sorte verwandelt, für die es nur einen Namen gab: Pogromiten . Er erhob sich. Er setzte sich in Bewegung. Er begab sich auf die Jagd.
    * * *

Bailey Hawks
    Bailey stand auf der Schwelle zu Silas Kinsleys Bad und beobachtete den schlangenartigen Organismus, den etwas, wovon Kirby Ignis sagte, es sei

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