Nachthaus
wie hinter ihm der Riegel zurückgeschoben wurde, hörte nicht, wie die Tür sich öffnete. Er schrie alarmiert auf, als etwas seinen Arm packte, denn er war weniger geneigt zu glauben, er hätte auch nur die geringste Chance auf Rettung, als davon auszugehen, hinter seinem Rücken befände sich etwas, was nicht weniger ungeheuerlich und nicht weniger heimtückisch war als das Monster auf dem Fußweg. Das schnelle Mörserfeuer seines Herzens donnerte so laut in seinen Ohren, dass er Padmini Bahrati kaum sagen hörte: »Schnell! Rein mit Ihnen!« Aber er hörte sie doch, drehte sich zu ihr um, stürzte ins Haus und an ihr vorbei.
Padmini schlug die schwere Tür zu und verriegelte sie mit dem Drehknauf.
Als Tom Tran sich schleunigst wieder zu dem Innenhof umdrehte, war er unsäglich dankbar dafür, dass die Glasscheiben der Tür in einem Bronzerahmen saßen und nicht in Holz, denn dieser Höllenfürst hatte sich an die Scheibe gepresst. Aus der Nähe sah er weniger nach schwammigen Knollen aus, sondern eher nach einem Allerlei aus freigelegten Organen und Inne reien, wie etwas, dessen Inneres nach außen gestülpt ist; all seine knolligen und wulstigen Bestandteile waren schlüpfrig, weil sie von einer dünnen milchigen Flüssigkeit überzogen waren, die in dem gelben Licht schillerte, das aus dem Hausflur durch die Fensterscheiben fiel.
Die silbernen Augen waren fest auf ihn gerichtet und die Mandibeln arbeiteten, als malte die Kreatur sich seinen Ge schmack aus, und jetzt glaubte er, die dunkleren Formen innerhalb ihres halb durchscheinenden Körpers, diese undurchsichtigen Klumpen, könnten kleinere Geschöpfe sein, die sie verschlungen hatte und die alle im Ganzen in ihren Därmen lagen, wie die Leichen mit den ineinander verkeilten Gliedmaßen in dem Massengrab in der Nähe von Nha Trang. Tief begraben im menschlichen Kompost und im gehaltvollen Nährboden des Dschungels von Nha Trang in Vietnam hätte genau so etwas zum Leben – oder zur belebten Antithese des Lebens – erwacht sein können, etwas, das nie geboren worden war, sondern sein Bewusstsein in der Dunkelheit und der Fäulnis und der Hitze, die von der Fäulnis hervorgebracht wurde, erlangt haben könnte, das Grauen von Nha Trang, dem damit eine angemessene symbolische Form verliehen worden wäre. Anscheinend war es gekommen, um Tran van Lung zu holen, der hier als Tom Tran bekannt und mittlerweile fünfundvierzig Jahre alt war. Denn als zehnjähriger Junge hatte er dieses Schlachthaus unter freiem Himmel gesehen: Tausende von Frauen, Männern und Kindern, von Maschinengewehren niedergemäht in der natürlichen Grube eines Teichs, aus dem das Wasser längst abgelassen worden war, und noch nicht mit einer Schicht Erde bedeckt. Mit seinem Vater war er schnell eine Biegung am Rand dieser obszönen Grube entlanggelaufen und sie hatten sich rasch zwischen den Bäumen in Sicherheit gebracht, ehe die Obrigkeit mit der Planierraupe zurückgekommen war, die sie aus reiner Ungeduld nicht bereitgestellt hatte, ehe das Morden begann. Hinter ihm und seinem Vater hatte der Urwald, der das Grab umgab, als dunkelgrüner Zeuge gespenstisch stillgestanden.
»Es versucht noch nicht mal reinzukommen«, sagte Padmini.
Tom rechnete damit, dass sich die Kreatur gegen die Tür werfen würde, doch sie tat es nicht. Sie zerbrach auch nicht eine der Scheiben mit ihren Krebsscheren.
»Warum versucht es das wohl nicht?«, fragte Padmini.
Das Ding wandte sich von der Tür ab und zog sich auf dem gewundenen Gehweg zurück.
»Dann kann es wohl doch nicht Nha Trang sein«, entschied Tom.
»Was?«
»Nha Trang wird niemals aufhören, mich zu wollen.«
Obwohl die Intensität seiner Furcht nachließ, als sein rasendes Herz nicht mehr ganz so heftig schlug, durchbohrte ihn Kälte mit der Plötzlichkeit eines Eiszapfens, der von einer hohen Dachtraufe hinunterfällt, und er zitterte heftig.
* * *
Dr. Kirby Ignis
Déjà-vu traf es nicht. Kirby hatte nicht das Gefühl, schon einmal hier gewesen zu sein. Unter den gegebenen Umständen, in diesem Pendleton der Zukunft. Doch selbst wenn diese Ereignisse noch so ungewöhnlich waren, erschienen sie ihm nicht vollständig fremd und unverständlich. Die Dinge, die er gesehen hatte, hatten ihn überrascht, ihn aber merkwürdigerweise nicht schockiert. Trotz der bizarren und radikalen Veränderungen, denen diese Welt unterworfen worden war, war sie ihm irgendwie vertraut, und wenn schon nicht vertraut, dann doch potenziell erklärbar. Er
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