Nachthaus
abweisend. Er vermutete, dass die Konsolentische, die Gemälde und die Teppichläufer fort waren. Konkurrierende Gerüche legten sich umeinander: ein schwacher beißender Geruch, den er nicht identifizieren konnte, eine leichte Ranzigkeit, die von Bratöl herrühren könnte, das der Luft lange genug ausgesetzt gewesen war, um sich zu einer dünnen Paste zu verfestigen, etwas wie die spröden Seiten von Büchern, die mit der Zeit vergilbt waren, Staub, Schimmel …
Einen Moment lang hatte er das Gefühl, nicht allein zu sein. Aber dann war er sich in dem Punkt nicht mehr sicher und der Hausflur erschien ihm verlassen. In dieser seltsam neuen Umgebung waren seine Instinkte nicht so zuverlässig wie sonst.
Seine ursprüngliche Absicht bestand darin, sich nach rechts zu wenden und zum hinteren Ende des nördlichen Hausflurs zu gehen, zu Apartment 1-C, wo seine Freundin Sally Hollander um diese Tageszeit zu Hause sein sollte. Die Wohnung zwischen seiner und ihrer hatte keinen Mieter; der Besitzer war vor ein paar Monaten gestorben, der Nachlass noch nicht abgewickelt.
Aber dann hörte er leise Stimmen, die Englisch sprachen, nicht wie dieses unheimliche Murmeln, das er vorhin gehört hatte, und sie schienen aus dem westlichen Flur zu kommen, gleich um die Ecke. Als er sich zur Abzweigung vortastete, bekam die Tapete unter seiner gleitenden Hand Sprünge und zerbröselte, als sei sie uralt. Er fand die offene Tür zu dem kleinen Büro, das vom Chefconcierge benutzt wurde, und tastete sich vorsichtig weiter voran.
Im Erdgeschoss waren die Decken der gemeinschaftlich ge nutzten Räume dreieinhalb Meter hoch, auch in den Fluren. Als er die Ecke erreichte, glaubte er über seinem Kopf einen verstohlenen Laut wahrzunehmen. Er blieb stehen und lauschte, hörte aber nichts mehr von dort oben. Einbildung.
Unter den nahen Stimmen erkannte Julian den melodischen Tonfall von Padmini Bahrati. Erleichtert, weil er Hilfe gefunden hatte, bog er um die Ecke in den westlichen Flur ein.
»Padmini, hier stimmt etwas ganz und gar nicht«, sagte Julian, und während er sprach, rieselten Bröckchen, die vom Verputz der Decke stammen konnten, auf seinen Kopf und seine Schultern.
* * *
Twyla Trahern
Winny und Iris waren nicht geholt worden. Sie waren in ihrer Furcht davongerannt. Das war für Twyla ein Glaubensgrundsatz. Sie würde nicht an ihm zweifeln. Sie waren weggerannt, sie waren nicht geholt worden, sie waren weggerannt.
Den zwei kreischenden Kreaturen war nichts von einer Katze geblieben. Jede von beiden war ein groteskes Gemisch von Bestandteilen, als seien die Albträume im Delirium tre mens eines ganzen Säuferlebens miteinander verfilzt worden, und beide veränderten sich immer noch, vielleicht veränderten sie sich unaufhörlich, dehnten sich aus, zogen sich zusammen, wechselten ihre Gestalt. Augenhöhlen voller knirschender Zähne, die Lippen eines Mundes öffneten sich, um ein blutiges Auge zu enthüllen, undenkbare Kombinationen vollzogen mit undenkbarer Schnelligkeit die Metamorphose in noch größere Undenkbarkeiten, als setzten sich Molch und Fledermaus und Kröte und mehr unter einem Zauber in einem Hexenkessel neu zusammen.
Die Bestien schleuderten sich mit ruckhaften, spastischen Bewegungen durch das Zimmer, ohne eine Spur der Anmut der Katzen, die sie früher gewesen waren, rasselnd und quiekend und zischend, und nicht einmal ihr Zischen hatte etwas von katzenhaftem Fauchen. Sie schienen ebenso funktionsgestört wie missgestaltet zu sein, aber sie waren dennoch grauenerregend. Sie nahmen drohende Haltungen ein, bibberten, waren voller fieberhafter insektenartiger Energien und nahmen so plötzliche Richtungswechsel vor, dass es schien, als würden sie wiederholt und heftig von unsichtbaren Barrieren abgeschmettert.
Unbewaffnet, aber der gegenseitigen Verteidigung verschrieben, rückten Twyla und Sparkle eng zusammen und versuchten, diesen unberechenbaren grauenhaften Kreaturen auszuweichen, die trotz ihrer ungünstigen Bauart so schnell wie Wasserwanzen waren. Jedes Mal, wenn es schien, als könnten es die Frauen schaffen, aus dem Zimmer zu flitzen, wurden sie in die andere Richtung gehetzt, wenn eine der misslungenen Kreaturen zwischen sie und den Türbogen wuselte.
Martha hatte die Pistole und sie wollte sie eindeutig benutzen, aber die Dinger bewegten sich so schnell und so unvorhersagbar, dass sie nicht auf sie anlegen konnte. Twyla erkannte, dass es so schwierig sein würde, eines der Geschöpfe zu töten,
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