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Nachtjaeger

Nachtjaeger

Titel: Nachtjaeger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. T. Geissinger
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wildes, fernes Land aus grünen Tälern, die zu dem alten Wald führten, durch den ein reißender Fluss ging, dessen Wasser so klar war, dass man die Forellen auf seinem Steinbett sehen konnte. In der Ferne rauchgraue Berge. Ein Land voller Menschen, die so schön waren, dass alles unwirklich erschien.
    Menschen, die wie ihr Vater aussahen.
    Nachdem sich die Erde wieder beruhigt und Leander den Notarzt gerufen hatte, nachdem er wie ein uralter Gott des Krieges – schlank und muskulös, ein Körper wie eine Klinge, ein Gesicht, das herrlich, schön und erschreckend zugleich war – durch das Chaos des Restaurants zu ihr zurückgekehrt war, hatte er sich neben sie gekniet und sie an den Armen festgehalten.
    »Es wird alles wieder gut werden«, sagte er mit ruhiger, samtener Stimme. Trotz seines besänftigenden Tonfalls wirkte seine Miene ernst und harsch wie die eines eiskalten Raubtiers. Seine wilden, grünen Augen leuchteten in seinem markanten Gesicht wie die eines hungrigen Wolfes.
    Sie wusste, dass nicht alles gut werden würde, denn seine Hände brannten auf ihrer nackten Haut, und sie sah seine Erinnerungen, seine Gedanken und seine Fantasien. Alles leuchtete vor ihren Augen in einem einzigen Bild aus Bewegung, Licht und Farben auf, als ob sie einen Film in 3D sehen würde, als ob sie in seinem Kopf wäre, am Ursprung all dieser Gedanken.
    Jenna musste weglaufen, um sich diesen Eindrücken zu entziehen. Sie glaubte, nie mehr stehen bleiben zu können.
    Doch schließlich war ihr nichts anderes übrig geblieben. Und jetzt war sie hier und wartete in der eleganten, geschäftigen Lobby seines Hotels.
    Plötzlich verschwand ihre Ruhe. Ihr Herz begann wieder zu hämmern. Ihr Mund wurde trocken, und ihre Wangen röteten sich, als sie Leander um die Ecke biegen sah.
    Sie beobachtete, wie er an den kunstvoll arrangierten Palmen vorbeiging und wie in Zeitlupe anmutig und selbstbewusst auf sie zukam. Er strahlte Macht und Gefahr aus. Die Blicke vieler folgten ihm. Jenna und Leander sahen sich an, und sie ballte die Hände in ihrem Schoß zu Fäusten, damit er nicht bemerkte, wie sehr sie zitterten.
    Er war alleine, und er sah so aus, als ob er keine gute Nacht verbracht hatte.
    »Jenna«, sagte er und blieb mit einer eleganten Bewegung vor ihrem Tisch stehen. Seine kühlen, grünen Augen musterten sie. »Die hinreißende Sommelière aus dem Mélisse. Was für eine schöne Überraschung.«
    Sie blickte zu ihm auf.
    Er wirkte völlig entspannt und beherrscht, als ob er zufällig bei einem Spaziergang einer fernen Bekannten begegnet wäre. Doch unter seiner eleganten, distanzierten Erscheinung spürte sie eine Aggressivität und Tatkraft, die er kaum zu kontrollieren vermochte. Er duftete nach kühler Nacht und Frische.
    »Geht es Ihnen heute besser? Ich muss zugeben, dass Sie mich etwas erschreckt haben, als Sie einfach so davongerannt sind. Ich hoffe, Sie haben …«
    »Ich weiß, wer du bist«, unterbrach ihn Jenna mit leiser Stimme. Sie sah ihn aufmerksam an. Einen Moment lang erstarrte er. Er behielt seine kühle Reserviertheit, doch sie bemerkte, wie ein Kiefermuskel zuckte.
    »Tust du das?«, murmelte er. Der Kronleuchter über ihren Köpfen verlieh seinen schwarzen Haaren einen blauen Schimmer, und die Lichter in der Lobby schienen auf einmal greller zu werden. Alles roch nach glühendem Jasmin und gnadenloser Hitze.
    Jenna vermochte seinen Gesichtsausdruck nicht zu interpretieren. Er war völlig undurchdringlich.
    »Ja. Du bist das, wovor ich weglaufen sollte.«
    Ihre Antwort schien ihn zu verblüffen. Er stand noch immer vor ihr und sah sie blinzelnd an, die Lippen leicht geöffnet. Dann besann er sich und zeigte auf den Stuhl ihr gegenüber. »Darf ich?«
    Sie nickte.
    Er setzte sich und schlug die Beine übereinander. Sein Blick richtete sich jetzt auf die Kristallschale mit den gemischten Nüssen, die auf dem Tisch zwischen ihnen stand. Er war salopp gekleidet, trug eine beige Hose und ein weißes Seidenhemd, dessen Ärmel hochgerollt waren, sodass sie seine braunen, muskulösen Unterarme sehen konnte. Ein Schatten lag auf seinen Wangen. Offensichtlich hatte er sich noch nicht rasiert.
    Er nahm eine Walnuss aus der Schale und begann, sie zwischen seinen Fingern hin und her zu rollen.
    Jenna bemerkte, wie das Sonnenlicht durch die riesigen Glastüren der Lobby hinter ihm einfiel. Sie hörte wie aus der Ferne die Gespräche der anderen Gäste und das Klacken hoher Absätze auf dem Marmorboden. Die Hitze kroch ihr

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