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Nachtjaeger

Nachtjaeger

Titel: Nachtjaeger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. T. Geissinger
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ferngesteuerte Motten um ihn wie um eine Kerze tanzten. Er war groß, genauso groß wie Leander, wenn auch ohne dessen körperliche Präsenz. Bei ihm hatte man vielmehr den Eindruck, dass man ihm eine Faust in den Magen schlagen könnte, und sie würde wie ein heißes Messer durch Butter durch ihn hindurch dringen.
    Er hatte lange Zähne und ein schleimiges Lächeln. Seine Haare schimmerten vor Gel und waren im Stil eines sizilianischen Mafioso nach hinten gekämmt. Seine Kolonie war klein – wie das alle Kolonien im Vergleich zu Sommerley waren –, aber seine Hinterlist und sein Ehrgeiz waren es nicht.
    »Gut«, erwiderte Leander und starrte seinen Kontrahenten ausdruckslos an. Er war neben Leander der einzige unverheiratete Alpha. Alejandro war vier Jahre und um zahlreiche Erfahrungen jünger, eingebildet und eitel. »Dann kann ich vielleicht das beenden, was ich bei der Versammlung angefangen habe.«
    Alejandro senkte den Blick und wandte seine Aufmerksamkeit einer seiner Bewunderinnen zu – einer rundlichen Frau, die in einem Kleid steckte, das zwei Größen zu klein für sie war, was zur Folge hatte, dass ihr üppiger Busen in Gefahr war, jeden Moment den zarten Stoff ihres Ausschnitts zu durchreißen. Sie brach in ein begeistertes Lachen aus und wedelte mit einer speckigen Hand vor ihrem Gesicht herum.
    In diesem Moment passierten mehrere seltsame Dinge auf einmal.
    Zuerst ließen die Musiker ganze zwei Takte der Sonate aus, die sie gerade spielten. Der Violinist fuhr mit seinem Bogen auf seltsam schrille Weise über die Saiten seiner Geige. Das Orchester war einen Moment lang völlig durcheinander und brauchte eine Weile, um wieder in sein Stück zurückzufinden. Leander blickte auf und sah mit schmalen Augen zu den Musikern hinüber.
    In diesem Augenblick wurde es völlig still im Raum. Die Leute hörten mitten im Gespräch auf zu reden, blieben stehen und unterdrückten ihr Lachen. Selbst die Eiswürfel in ihren Gläsern schienen nicht mehr zu klirren. Eine unheimliche Stille erfüllte den Ballsaal. Die rundliche, lachende Frau bei Alejandro hielt die Hand vor den Mund und klammerte sich an den Arm des Alpha, wo sie ihre Finger so tief in dessen Fleisch vergrub, dass Leander beinahe den blauen Fleck zu spüren glaubte, der sich dort bilden musste.
    Alejandro sah sie stirnrunzelnd an. Man konnte seine Zähne sehen, obwohl er nicht lächelte. Dann hob er den Blick. Auch er erstarrte, wie von einem Pfeil getroffen. In diesem Moment vernahm Leander, wie Christian neben ihm bebend Luft holte. Seine inneren Alarmglocken begannen anzuschlagen, und er wirbelte herum.
    Und da war sie. Ein Engel, gekleidet in dämonisches Rot.
    Jenna stand unter der geschwungenen Tür, eine Hand leicht auf dem Kopf eines Marmorpanthers liegend, der sich mitten im Sprung befand. Die andere Hand wanderte langsam über die Kurven ihrer schmalen Taille, die sich so deutlich unter dem scharlachroten Valentino-Kleid abzeichnete. Er hatte ihr geraten, es nicht zu tragen, doch insgeheim gewusst, dass sie es genau deshalb tun würde.
    Sie wirkte gelassen, als sie so geheimnisvoll lächelnd dastand und keine Sorgen zu haben schien. Nichts ließ erahnen, dass sie einem ganzen Ballsaal voller Raubtiere gegenüberstand, die nur darauf warteten, sich auf sie zu stürzen. Hier hatte sich das dunkle Herz der Spezies versammelt, um Zeuge ihres Ruhms zu werden.
    Oder ihres Untergangs.
    Sie war immer wunderschön – in seinen Erinnerungen und in seinen Fantasien. Doch jetzt verlieh ihr das Kerzenlicht, das ihre Haut so geheimnisvoll schimmern und Schatten über ihr Gesicht und ihren Körper tanzen ließ, etwas Magisches, etwas Poetisches – wie das Leuchten eines Sonnenstrahls, der eine düstere Wolkendecke durchschnitt.
    Sie trug ihre Haare offen, sodass sie in wunderbaren, honigfarbenen Wellen über ihre bloßen Schultern fielen. Die milchig weißen Linien ihres Halses, ihres Dekolletés und ihrer Arme bildeten einen perfekten Kontrast zu der blendenden Farbe. Ein Teil von Leander – jener Teil, der noch denken konnte und der nicht von ihrem Zauber völlig in Bann gezogen war – bemerkte ihr sinnliches, wissendes Lächeln und den ruhigen, kontrollierten Blick, mit dem sie den Saal voll schweigender Feindseligkeit betrachtete. Sie verlagerte ihr Gewicht. Der hohe Schlitz in ihrem Kleid ging auf und enthüllte ein langes, nacktes, perfekt geformtes Bein, das in einer zarten, hochhackigen Sandale in Scharlachrot endete. Er spürte, wie sein Herz

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