Nachtjaeger
miteinander … Und wie zum Teufel war es Jenna gelungen, an den Wachen vorbeizukommen?
Jeder winzige Riss oder Spalt ihres Zimmers war vor ihrem Eintreffen versiegelt worden. Selbst die Tür wurde durch eine unsichtbare Dichtungsmasse geschützt, um Jenna davon abzuhalten, sich in Nebel zu verwandeln und so zu fliehen. Man hatte keine Mühen gescheut, und doch waren die Vorsichtsmaßnahmen unzureichend gewesen. Die Musik begann erneut zu spielen, und die Gäste fingen wieder an, miteinander zu reden, wenn auch nur leise flüsternd. Noch immer waren alle Augen im Raum auf die beiden gerichtet.
Jennas Lächeln wurde breiter und spöttisch.
»Man hat mir aus vertrauenswürdiger Quelle mitgeteilt, dass es gut ist, Freunde zu haben.« Das Grün ihrer Augen wurde eine Nuance dunkler. »Leute, denen man in Zeiten der Not trauen kann.«
Morgan trat wieder zu ihnen und reichte Jenna ein Glas Champagner. In der Kristallschale stiegen kleine Bläschen an die Oberfläche. Morgan verhielt sich so höflich, dass Leander glaubte, einen unsichtbaren Knicks wahrzunehmen, als sie Jenna das Glas gab. Die beiden wechselten erneut einen Blick. Morgan berührte einen Moment lang Jennas Unterarm, ehe sie sich umdrehte und dann auf einen noch immer mit offenem Mund dastehenden Christian zuging.
Christians Blick war auf Jennas Bein fixiert, das noch immer unbekümmert aus dem hohen Schnitt ihres Kleids herauslugte. Dann wanderten seine Augen langsam zu ihrer Taille, ihren Brüsten und ihrem Gesicht.
Erst jetzt merkte Christian, dass Leander ihn anstarrte. In diesem Moment trat Morgan neben ihn.
Leander musterte seinen Bruder kühl und direkt, bis dieser den Blick abwandte und sich Morgan zudrehte. Diese flüsterte ein paar Worte in sein Ohr. Christian nickte steif und mischte sich dann unter die anderen Gäste.
»Brauchst du irgendetwas? Kann ich dir irgendetwas Gutes tun?«, fragte Leander, als er sich schließlich wieder Jenna zuwandte.
»Danke, es geht mir gut …« Er glaubte, etwas in ihren Augen aufblitzen zu sehen, das entweder Schmerz oder Wut sein konnte. Doch ebenso schnell, wie es erschien, war es auch wieder verschwunden.
»Ja, Morgan hat es mir erzählt. Wenn auch nicht viel mehr«, fügte er bewusst hinzu.
Ihre Antwort bestand nur aus einem geheimnisvollen Lächeln.
»Die Verletzung war also nicht schlimm?«, fragte er nach.
»Die Verletzung an meinem Fuß war nicht weiter tragisch, nein«, antwortete sie, während ihr Blick über die Menge im Ballsaal wanderte. »Der Schnitt ist wieder geheilt. Danke der Nachfrage.«
»So rasch?«, fragte er zweifelnd. »Es schien ziemlich viel Blut zu sein …«
»Morgan ist eine ausgezeichnete Krankenschwester«, erwiderte sie vage und blickte über seine Schulter.
Diese höfliche, belanglose Unterhaltung machte ihn allmählich nervös. Seine Hände begannen zu zucken.
Was hatte sie in den vergangenen vier Tagen gemacht? Warum hatte sie nicht mit ihm gesprochen? Warum hatte sie nur Morgan zu sich gelassen? Wann konnte er endlich mit ihr allein reden? Warum zum Teufel gab sie sich so distanziert?
»Nur aus Neugier: Wer ist der große, attraktive Mann am anderen Ende des Saals, der von den ganzen Frauen umringt ist?«
Er musste sich nicht umdrehen, um zu wissen, wen sie meinte. Seine Antwort klang gepresst: »Alejandro. Der Alpha der brasilianischen Kolonie.«
Jenna sah Leander aufmerksam an. »Du magst ihn nicht.« Es schien sie zu amüsieren.
»Nein. Ich mag ihn nicht.«
Sie lächelte. »Dann willst du vielleicht jetzt lieber gehen. Er kommt nämlich direkt auf uns zu.«
Leander drehte sich um und sah, wie Alejandro, ohne irgendetwas anderes wahrzunehmen, schnurstracks auf Jenna zueilte – wie ein Bluthund auf der Jagd. Gnadenlos drängte er sich durch eine Gruppe von Frauen, die schockiert miteinander flüsternd zur Seite traten.
Leander fasste Jenna leicht am Ellenbogen und begann, sie aus dem Saal zu ziehen. »Vielleicht wäre es besser, wenn wir uns irgendwo unter vier Augen unterhalten«, murmelte er. Zu seiner Überraschung zog sie ihren Arm nicht zurück, als er sie berührte.
»Oh, nein«, antwortete sie. »Ich würde liebend gern hören, was er zu sagen hat. Nach den letzten Tagen meiner erzwungenen Einsamkeit sehne ich mich nach einer anregenden Unterhaltung.« Einen Moment lang sah sie Leander scharf an. Dann wandte sie den Blick ab.
»Madame.«
Alejandro stand plötzlich neben ihnen. Er stieß Leander mit der Schulter beiseite und gab sich die
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