Nachtjaeger
vorfinden würde, wie du gerade dabei bist, meine ganze Garderobe zu zerschneiden«, erklärte eine amüsierte Stimme, die leise und samtig klang und nur wenige Zentimeter von ihr entfernt war. »Aber offensichtlich probierst du meine Kleider ja lieber an.«
Jenna riss den Kopf hoch. Er stand direkt vor ihr, seine Silhouette kaum sichtbar in der Mitte des dunklen Zimmers. Sie unterdrückte einen wütenden Schrei.
Wieso hatte sie ihn nicht gehört? Wieso hatte sie sein Herz nicht gehört?
»Ich hatte gehofft, dass du mich nicht finden würdest«, gab sie empört zurück und verbarg sich noch tiefer in den Mänteln. Ihre Hände krallten sich an den Wollkragen und zogen ihn näher um ihren Hals. Noch ein Schritt, und sie stünde mit dem Rücken an der Wand.
»Mach dich nicht lächerlich. Du befindest dich nur ein Stockwerk über dem Salon. Ich konnte problemlos deinen Herzschlag hören.«
In der Dunkelheit sah sie, wie Leanders Zähne weiß aufblitzten, als er lächelte. Dann traf sie sein Duft nach Gewürzen, Rauch und Männlichkeit. Sein Herzschlag begann in ihren Ohren widerzuhallen, ein Echo ihres eigenen. Ihr wurde plötzlich klar, dass sie ihn zuvor nicht gehört hatte, weil er als Nebel in das Zimmer eingedrungen war, und sich erst dann wieder in seine menschliche Gestalt verwandelt hatte.
Das bedeutete, dass er nackt vor ihr in der Dunkelheit stand. So nackt, wie sie unter dem Mantel war.
»Und um das klarzustellen: Ich probiere hier gar nichts an«, fauchte Jenna. »Ich …« Sie brach ab und hasste sich dafür, dass er es schaffte, sie so aus der Fassung zu bringen. »Ich versuche nur, warm zu bleiben.«
Er trat einen Schritt vor und streckte die Hand aus, um einen taubengrauen Kaschmirmantel wegzuschieben, der teilweise ihr Gesicht verdeckte. Die Haut seiner muskulösen Brust lag im Schatten, doch sie bemerkte, wie sie bernsteinfarben schimmerte, als er sich bewegte. Die Muskeln seines Bauchs waren in dämmriges Licht getaucht, und eine Mischung aus goldbraunem, schiefergrauem und blassem Licht umhüllte seinen ganzen Körper. Sie riss sich von seinem Anblick los, ehe ihr Blick weiter nach unten wanderte.
»Mir fallen spontan ein paar andere Möglichkeiten ein, dich warm zu halten.«
»Da bin ich mir sicher«, erwiderte sie säuerlich und etwas genervt. Musste er denn so männlich sein? So muskulös? So verdammt gut aussehend?
Jenna atmete durch zusammengebissene Zähne aus und merkte erst jetzt, wie angespannt sie war. »Zum Beispiel, indem du mich in einen Topf mit kochendem Wasser wirfst. Oder mich in der Wüste aussetzt. Oder meinen Körper mit Honig einschmierst und mir dann einen Bienenkorb über den Kopf stülpst. Oder …«
Er unterbrach sie. »Du hast meine Absicht falsch verstanden, meine Liebe. Außer vielleicht das mit dem Honig.«
Sie sah das Funkeln in seinen Augen, als er lächelte – genüsslich und lasziv.
»Ohne die Bienen natürlich.«
Sie schluckte und klammerte sich noch fester an den Mantel. Ihr Herz begann nun in ihrer Brust zu hämmern. »Dann bist du offenbar der Einzige, der so denkt. Deine Freunde da unten im Salon sind offensichtlich fest entschlossen, mir etwas Schreckliches anzutun, weil ich mich nicht …«
»Aber das hast du doch«, unterbrach er sie erneut und noch immer mit dem samtig zärtlichen Tonfall, der ihr einen Schauder nach dem anderen über den Rücken jagte. »Und jetzt haben die ihren Beweis. Du befindest dich nicht mehr in unmittelbarer Gefahr.«
»Jedenfalls nicht vor denen«, entgegnete Jenna, als Leander einen weiteren Schritt auf sie zutrat.
Er senkte die Hand und legte seine langen Finger um den Kragen des Wollmantels. Mit der anderen Hand fasste er nach dem Revers. Er zog sie zu sich, bis sich ihre Körper fast berührten, nur noch von dem feinen Wollstoff voneinander getrennt.
Sie blickte zu ihm auf, und die Zeit verlangsamte sich plötzlich, als wären sie unter Wasser.
Er war einen Kopf größer als sie und strahlte eine Hitze aus, die ihr beinahe den Atem raubte. Sein Gesicht lag noch immer im Schatten, und die Locken seines dichten, ebenholzschwarzen Haares fielen ihm in die Stirn und auf die Wangen. Auch die harten, straffen Muskeln seiner Schultern und Arme waren in Dunkelheit gehüllt, sodass sich seine schwarze Silhouette wie eine Erscheinung vor ihr abzeichnete.
Seine Augen hingegen waren deutlich sichtbar – geweitet, riesengroß und grün funkelnd.
»Von mir geht für dich keine Gefahr aus«, flüsterte er. »Niemals. Das
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