Nachtjaeger
lächelte, um den kurzen Anflug von Ärger zu unterdrücken, der über sein Gesicht gehuscht war.
»Wir wollen nicht respektlos erscheinen. Wir möchten Sie nicht beunruhigen oder Ihnen etwas Böses antun. Wir sind nur hier, um ein paar Antworten zu bekommen. Als Freunde.«
Er warf Durga einen berechnenden Blick zu, der sogleich verstand. Langsam senkte der den Arm, den er in Jennas Richtung ausgestreckt hatte, und setzte sich schwerfällig mit wütend-überraschtem Gesichtsausdruck wieder auf seinen Stuhl. Doch Leander wusste, dass es nur ein Trick war. Sie würden ihr etwas antun, wenn sie nicht gehorchte – und zwar sofort. Mit zehn Schritten war er neben ihr und stellte sich zwischen sie und die schweigende Masse.
Er musste sie dazu bringen zu verstehen, was hier vor sich ging. Er musste sie beschützen.
»Ich weiß sehr wohl, wie Sie Ihre Freunde behandeln«, erklärte Jenna kalt, als Leander die Hand nach ihr ausstreckte.
»Bitte tu das nicht.« Er sprach leise in ihr Ohr, die Finger auf ihrem Unterarm ruhend. »Sie brauchen nur eine schlichte Bestätigung der Wahrheit. All das ist nicht nötig.«
»Ich habe keine Angst vor ihnen.« Ihre Augen waren genauso klar wie ihre Stimme.
»Es wäre klug, große Angst vor ihnen zu haben. Du kennst sie nicht, so wie ich es tue. Für sie bist du eine Bedrohung, eine unbekannte Größe. Sie schätzen dich nicht so, wie ich es tue. Und sie werden auch keine Gnade vor Recht ergehen lassen. Sie werden sich überhaupt nicht gnädig zeigen.«
Jenna zögerte und richtete den Blick auf seine Finger auf ihrem Arm. Dann sah sie ihn an. Ihre Augen waren klar und unverstellt. Jeglicher Zorn, jegliche Pose war verschwunden. »Sie wollen die Wahrheit? Ich habe dich um die Wahrheit gebeten. Und jetzt sieh nur, wohin mich das gebracht hat«, erwiderte sie mit leiser Stimme. »Ich weiß nicht, ob die Wahrheit wirklich so erstrebenswert ist, wie es immer heißt.«
Auf einmal wusste Leander genau, was er zu tun hatte.
»Gut«, sagte er heiser und umklammerte ihren Arm. »Dann weißt du es eben nicht.«
Er zog sie an seine Brust, nahm ihr Gesicht in seine Hände und küsste sie leidenschaftlich auf den Mund.
Einen Moment lang war nichts zwischen ihnen. Er spürte nur ihren vor Wut und Schock erstarrten Körper, merkte, wie sich ihre Lippen regungslos auf die seinen drückten, während sie versuchte, das Gesicht wegzudrehen. Er hielt sie mit beiden Händen fest und hörte dabei das überraschte Murmeln der versammelten Männer sowie ein lautes Luftholen von Alejandro. Unverwandt hielt er seinen Mund auf dem ihren.
Er spürte ihr Herz, das wild und wütend in ihrer Brust schlug. Sie gab kleine Laute des Protests von sich, während sich ihre Hände an seiner Brust zu Fäusten ballten, mit denen sie ihn wegzuschieben versuchte. Einen Moment lang glaubte er, dass sie nie nachgeben würde.
Doch dann wurde etwas zwischen ihnen kaum merklich weicher. Die Anspannung in ihrem Nacken ließ einen Hauch nach, und ihre Lippen verwandelten sich von Stein zu Samt. Ihre Arme, mit denen sie sich gerade noch gegen ihn zur Wehr gesetzt hatte, wurden lockerer und schlangen sich dann um seinen Hals. Ihr Körper drängte sich gegen den seinen, und sie atmete durch die Nase.
Ihre Lippen öffneten sich.
Sie ließ seine Zunge in ihren Mund, und er glitt mit den Händen in ihre schweren, schimmernden Haare, um ihren Kopf zu umfassen, während er ihren warmen, sinnlichen Körper an seinem spürte. Ihre Finger wanderten zu seinem Nacken. Dort vergruben sie sich in seinen Haaren und zogen seinen Kopf weiter zu ihr herab, um ihren Kuss zu vertiefen.
Sie gab noch einen leisen Ton von sich, der diesmal jedoch rein erotisch war.
Er vergaß seinen hastigen Plan, sie zu retten, vergaß seine Eifersucht, seine Sorgen und alles andere auf der Welt. Nur ein einziger Gedanke beherrschte ihn, während er die Honigsüße ihres Mundes schmeckte und sie in seinen Armen hielt – so schlank, fest, so real. Unglaublich real.
Die Meine.
Schließlich entwand sie sich mit noch immer geschlossenen Augen seiner Umarmung. Ihre Lippen strichen über die seinen, während sie ein heiseres Wort flüsterte.
»Mistkerl.«
Dann blieb Leander zum zweiten Mal in vier Tagen nur mit Jennas leerem Kleid zurück, das zu seinen Füßen herabflatterte.
18
Jenna war noch nie in ihrem Leben so gedemütigt worden. Sie war auch noch nie so wütend gewesen. Er hatte sie geküsst. Er hatte sie dazu gezwungen, sich zu verwandeln. Vor den
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