Nachtkalt: Psychothriller (German Edition)
manche Renovierung nötig und falls sie den Job als Schreibkraft bekommen sollte, wäre als Erstes die Elektrik an der Reihe.
Nachdem sie noch einen Blick in die Küche geworfen hatte, wo Gerald unbeeindruckt von der Dunkelheit wieder auf die beiden Fotos deutete, nahm sie die Taschenlampe vom Haken neben der Kellertür und öffnete diese. Von der Treppe, die hinunter in die vollkommene Schwärze führte, waren gerade einmal die ersten vier Stufen zu erkennen. Ohne länger darüber nachzudenken, knipste sie die Taschenlampe an und begann vorsichtig die steilen Stufen hinabzusteigen, was ihr im Laufe der Jahre immer schwerer fiel.
Bis zur Hälfte der Treppe, die man direkt an der Wand verankert hatte, leuchtete sie noch auf die Stufen vor sich. Bis hierher war der eigentliche Keller noch nicht einzusehen, dann knickte die Treppe ab und führte direkt in einen schmalen Gang, von dem aus man zu dem Heizungs- und dem Aufbewahrungsraum gelangte. Die Luft war trocken und kleine Staubpartikel erschienen im Schein ihrer Lampe. Irgendwo knackte es in den Mauern, doch Ruth wusste, dass das Haus permanent arbeitete und machte sich nichts daraus. Nachdem sie den zweiten Teil der Treppe erreicht hatte, richtete sie den Lichtkegel auf den großen alten Sicherungskasten und versuchte schon von hier aus zu erkennen, ob etwas durchgebrannt war. Ihr Fuß erreichte die nächste Stufe und hätte sie keine Hausschuhe angehabt, wäre es ihr aufgefallen, doch die dicken Korksohlen machten es unmöglich etwas zu spüren. Erst dachte sie, jemand hatte ihren Fuß gepackt und weggezogen, dann hatte sie keine Zeit mehr zum Denken. Sie fiel Stufe für Stufe, ohne jede Möglichkeit ihren Fall zu bremsen. Sechs Mal ging alles gut, doch dann verdrängte der Schmerz jede andere Empfindung. Ausgehend vom rechten Bein schienen ihre Nervenbahnen zu explodieren, was ihr erst die Luft, dann das Bewusstsein nahm.
Als Ruth die Augen wieder öffnete, lag die Taschenlampe einen Meter neben ihr und beleuchtete eine von Geralds größten Tuben brauner Ölfarbe. Warum, dachte sie, warum nur hat er die Stufe damit bemalt, dann versank sie erneut in einer kurzen Ohnmacht.
9
Obwohl Anja an diesem Montag Spätdienst hatte und bereits in der Klinik war, traf sie zeitgleich mit ihrer Schwester Nora in dem Wartebereich der Notaufnahme ein. Natürlich waren Handys während der Arbeit tabu und sie hatte es nur einem Mitstudenten, der bei dem Namen ihrer Mutter stutzig geworden war, zu verdanken, dass man sie überhaupt informiert hatte.
Trotz der Sorge um ihre Mutter fiel Anja schon von weitem auf, wie erschöpft Nora wirkte. Anja bahnte sich einen Weg durch die anderen Wartenden, umarmte erst ihre Schwester mit einem leisen »Hallo«, dann beugte sie sich zu ihrem Neffen hinunter und sagte aufmunternd: »Na, du darfst heute aber lange wach bleiben.« Lukas ignorierte den Satz und fragte stattdessen: »Wie geht es Oma?«
Anja erzwang ein Lächeln: »Das werde ich gleich herausfinden, aber es ist bestimmt nichts Schlimmes.« Anschließend erhob sie sich und fragte Nora: »Weißt du schon etwas?« Doch Nora schüttelte den Kopf: »Man sagte mir am Telefon nur, dass Mutter offenbar die Kellertreppe hinuntergestürzt ist und hierhergebracht wurde.«
»Und was ist mit Gerald?«, hakte Anja ein.
»Frau Haagen hat den Tumult vor unserem Haus mitbekommen und Gerald mit zu sich genommen.«
»Wenigstens etwas«, murmelte Anja und beschloss dann laut: »Am besten, ihr wartet hier und ich suche den behandelnden Kollegen.«
»Nicht nötig!« Anja erkannte die Stimme des Arztes sofort, da dieser schon mehrfach versucht hatte, sie von einem gemeinsamen Abendessen zu überzeugen. Dr. Karl war alt und arrogant, aber ein guter Arzt.
Ohne jede weitere Begrüßung versicherte sich Dr. Karl: »Sie sind die Töchter von Frau Lange?« Erst als beide genickt hatten, fuhr er fort: »Gut, dann darf ich Ihnen Auskunft erteilen. Frau Lange hat, neben einigen Prellungen, einen Oberschenkelhalsbruch, der aber, wenn man das so sagen kann, günstig gebrochen ist. Innere Verletzungen können wir ausschließen und Ihre Mutter ist den Umständen entsprechend in guter Verfassung.« Nun wandte er sich an Anja: »Wie Sie wissen, muss dieser Bruch operiert werden, daher wird es nötig sein, Ihre Mutter eine Weile hier zu behalten. Frau Lange wird gerade hinauf in die zuständige Station gebracht und natürlich können Sie gleich zu ihr.« Da Anja schon am Ende ihres Studiums war, hielt es Dr.
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