Nachtkalt: Psychothriller (German Edition)
eine wesentlich freundlichere Mitarbeiterin alles über ihre Kasse gezogen hatte, bezahlte Anja und wollte gerade damit beginnen alles in ihre Tasche zu räumen, als sie eine Hand auf ihrer Schulter spürte. Sie wandte sich instinktiv zur Seite und sagte: »Gerald, was soll denn das?« Doch eine tiefe Männerstimme antwortete: »Einen Moment noch, bitte. Darf ich einen Blick in Ihre Tasche werfen?«
Anja drehte sich um. Hinter ihr stand ein eigentlich recht unscheinbarer Mann und hielt ihr ein Messingschild mit dem Aufdruck Kaufhausdetektei Bockschmidt unter die Nase. Ohne auf ihre Antwort zu warten, erklärte der Mann: »Ich habe leider den Verdacht, dass Sie nicht alles bezahlt haben, würden Sie mir bitte ins Büro folgen oder möchten Sie das hier klären?« Mit diesen Worten sah er demonstrativ zu einigen anderen Kunden, die Anja bereits musterten.
Zuerst wollte Anja protestieren, sah dann aber ein, dass es keinen Sinn hatte, und da sie sich sicher war, nichts gestohlen zu haben, nahm sie Gerald an die Hand und folgte dem Detektiv in das Büro der Drogerie.
»Ach, sieh an«, war alles, was die wasserstoffgebleichte Filialleiterin von sich gab, als Anja ihr Büro betrat, dann musterte sie abfällig ihren Bruder, der gerade einige nervöse Zuckungen bekam.
Der Detektiv schloss die Tür und klärte sie darüber auf, dass sie ihn nicht in ihre Taschen sehen lassen musste, er in diesem Fall aber die Polizei rufen müsste.
Mit den Worten »Hier, bitte!« hielt Anja ihm ihre Tasche hin und sah ihm anschließend dabei zu, wie er den Inhalt auf den Tisch entleerte. Nachdem er eine Weile in ihren Dingen gewühlt hatte, sagte sie in überlegenem Tonfall: »Und sind Sie jetzt zufrieden?« Doch genau in diesem Moment schob der Detektiv Anjas Studentenakte beiseite und hob, beinahe triumphierend, eine kleine, aber hochpreisige Tube Hautcreme in die Höhe und fragte: »Hierfür haben Sie doch bestimmt einen Kaufbeleg, oder?«
Anja starrte fassungslos auf die Creme und stotterte: »Die … die habe ich da nicht rein. Ich verwende so etwas überhaupt nicht.« Anschließend drehte sie sich zu Gerald, dessen Hand immer wieder nach oben zuckte, und fragte: »Gerald, warst du das?«
Gerald erstarrte kurz, schüttelte dann wild den Kopf und erklärte: »Neeiiinnn, Gerald nichts in Tasche gesteckt … Gerald nicht.«
»Er war es auch nicht«, stellte der Detektiv selbstsicher fest, »es war Ihr anderer Komplize. Ich kenne diese Masche, man kommt mit möglichst vielen Leuten und der Unauffälligste schleppt dann die Ware hinaus.«
»Ich habe keinen Komplizen, wie kommen Sie denn auf so einen Blödsinn«, protestierte Anja.
Langsam wurde der Detektiv etwas ungehaltener: »Ich komme nicht auf irgendeinen Blödsinn, ich habe es gesehen. Ihr Komplize ist schnell, das muss ich zugeben, aber ich habe genau gesehen, wie Sie am Bücherregal Ihre Tasche für ihn nach hinten geschoben haben und er die Creme hineingeschmissen hat.«
Es war nur ein Gedanke und doch ließ er Anja erstarren. Sie hatte während des Lesens tatsächlich gespürt, wie sie kurz angerempelt wurde und alleine die Möglichkeit, dass es vielleicht dieser Irre gewesen war, ließ ihren Magen verkrampfen.
Alles Weitere zog wie in Trance an ihr vorüber und als Gerald auch noch begann, von einem netten Mann zu reden, gab sie ihren Widerstand auf. Die Polizei wurde gerufen, nahm ihre Daten auf und nachdem sie 50 Euro Strafe bezahlt hatte, durften sie den Laden wieder verlassen.
An der Bushaltestelle öffnete sie erneut ihre Tasche und begann nach dem Geldbeutel zu suchen, zog aber stattdessen einen schmalen Zettel heraus. Verwundert drehte sie das Papier, das eindeutig nicht von ihrem Notizblock stammte, in den Händen und traute ihren Augen nicht. Auf der Rückseite stand in gedruckten Buchstaben Unsere Gespräche beende ich, nicht du. Lege nie wieder einfach auf. Merke dir das gut, denn das gerade war nur eine Warnung und noch keine Strafe! Damit wurde aus ihrer Vermutung Gewissheit, dieser Typ hatte sie ständig im Auge. Wütend zerknüllte sie den Zettel und warf ihn auf den Boden, besann sich allerdings, hob ihn wieder auf und steckte ihn zurück in die Tasche, dann fiel ihr Blick auf ihren Bruder. Gerald stand einfach nur da und starrte in eine Richtung, doch irgendetwas störte sie an seinem sonst so starren Gesichtsausdruck. Es schien fast, als würde er lächeln. Irritiert folgte sie seinem Blick, sah aber nur noch, wie jemand um eine ziemlich weit
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