Nachtkalt: Psychothriller (German Edition)
entfernte Häuserecke verschwand. Was sie allerdings noch zu erkennen glaubte, war die Jacke, denn zumindest die Farbe stimmte mit der von Florian überein. Ihr erster Impuls war hinterherzurennen, was aber ziemlich sinnlos gewesen wäre. Stattdessen zog sie ihr Handy aus der Tasche und wählte Florians Nummer. Es brauchte nur zwei Freizeichen, bis er abhob und flüsternd fragte: »Ist etwas passiert? Ich bin gerade in einer Besprechung.«
Seine Stimme klang ehrlich und bereits beim ersten Wort hatte Anja das Gefühl, ihn verraten zu haben, wie konnte sie ihn nur verdächtigen? Ebenfalls flüsternd erwiderte sie: »Bitte entschuldige, ich wollte dich nicht stören. Kannst du mich später zurückrufen?«
Nun klang es, als würde Florian lächeln: »Na klar, hätte ich doch eh gemacht.« Dann folgte ein Augenblick der Stille und er fragte: »Darf ich dich heute Nacht wieder beschützen?«
Anjas Zweifel waren verflogen, das mit der Jacke musste Zufall gewesen sein, daher sagte sie: »Ich bestehe darauf.«
Florian sagte nur noch: »Ich freue mich. Bis gleich.« Dann legte er auf und ließ Anja mit einem Wechselbad der Gefühle zurück. Einerseits passten die Umstände ganz und gar nicht zu dem Gefühl der Verliebtheit, andererseits wollte sie sich das mit Florian nicht kaputtmachen lassen. Er war der erste Mann, der es geschafft hatte, die Distanz zu überwinden, die ihr Verstand zwischen all den anderen Männern aufrechterhalten hatte.
Etwas ruhiger sah sie dabei zu, wie der Bus in die Haltestelle einfuhr, nahm Gerald an die Hand und stieg ein. Da es der Lieblingsplatz ihres Bruders war, setzten sie sich ganz nach hinten und als der Bus losfuhr, fragte sie vorsichtig: »Warum magst du denn diesen Mann eigentlich so?«
Gerald schlang die Arme um seinen Körper, sah demonstrativ in die andere Richtung und sagte bockig: »Gerald schweigt!«
»Aber der Mann ist böse zu mir … willst du das?«, hakte Anja nach.
Gerald wendete den Kopf, sah sie an und sagte völlig überzeugt: »Der Mann will mit dir spielen und Anja mag Spiele.«
Sie gab es auf, blickte eine Weile aus dem Fenster und verabredete sich per SMS mit Ute zu einem Telefonat am Abend.
16
Eigentlich wollte Tom Jänke nachhause fahren, doch die Begegnung mit Anja Lange und ihrem Bruder war ihm den ganzen restlichen Tag nicht mehr aus dem Kopf gegangen. Er wendete an der nächsten Kreuzung und parkte zehn Minuten später neben dem rostigen Opel seines Ex-Kollegen mit dem schlecht angebrachten Aufkleber Detektei Köstner .
Entgegen seinen Erwartungen öffnete ihm Mike in völlig nüchternem Zustand die Tür und sah dazu auch noch so frisch aus, wie lange nicht mehr. Tom trat ein und fragte erstaunt: »Was hast du gemacht, hast du dir einen neuen Körper gesucht?«
Mike stellte die Wasserflasche, die er in Händen hielt, auf ein kleines Regal und gab seinem Nachfolger bei der Mordkommission die Hand. Doch statt auf die Frage zu antworten, erwiderte er: »Pass du lieber auf … wenn man zu lange bei dem Verein ist, sieht man irgendwann selbst aus wie eine Leiche.«
Tom hängte lachend seine Jacke an den einzig freien Haken und folgte Mike in das ebenfalls unglaublich saubere Wohnzimmer, wo er noch einmal fragte: »Und sagst du mir jetzt, was es mit deiner Verwandlung auf sich hat? Hast du dir eine Geliebte zugelegt?«
Mike deutete mit dem Zeigefinger auf ihn: »Vorsicht, mein Freund, wenn Jenny das hört, ist der Teufel los.« Tom sah erleichtert dabei zu, wie Mike sich wenigstens noch eine Zigarette anzündete, alle Laster hatte er folglich nicht abgelegt.
Mike nahm einen tiefen Zug und erklärte endlich: »Nach meinem Absturz vor zwei Monaten war ich einige Male bei einer Heilpraktikerin, die Hypnose anbietet. Erst war es eine Katastrophe, doch die letzten beiden Male bin ich tatsächlich in Trance gefallen und was soll ich sagen …«, Mike drehte sich wie ein Model einmal um die eigene Achse, »…ich fühle mich wie ein anderer Mensch. Heute Morgen war ich sogar der Erste in der Schwimmhalle.«
Tom zog die Augenbrauen hoch: »Du gehst schwimmen?«
Mike setzte sich und nickte. »Ja, jeden zweiten Tag«, dann sah er Tom auffordernd an, »aber du bist bestimmt nicht hier, um dir Gymnastiktipps von mir zu holen, also was ist passiert?«
»Hast du ein Bier für mich?«, fragte Tom und begann schon, während Mike nach nebenan in Küche ging, zu erzählen.
Zusammen mit dem letzten Schluck aus der Flasche endeten einige Minuten später auch Toms
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