Nachtkalt: Psychothriller (German Edition)
Haus war so still, dass sie nur ihren eigenen Puls hörte. Nachdem eine weitere Minute nichts geschehen war, schielte sie kurz auf ihr Handy, das sie geistesgegenwärtig vom Tisch mitgenommen hatte, und suchte nach Köstners Telefonbucheintrag. Als sie diesen gefunden hatte, lauschte sie noch einmal und drückte dann auf das Hörersymbol.
»Hallo, Frau Lange«, erklang seine Stimme aus dem Gerät, doch sie verzichtete auf eine Begrüßung und flüsterte fast zu leise: »Er ist oder war hier.« Jetzt erst wurde ihr bewusst, was es mit den Dingen auf dem Tisch auf sich hatte, und bevor Köstner etwas sagen konnte, flüsterte sie panisch weiter: »Er hat mir etwas hingelegt ... vielleicht ...« Tränen schossen aus ihren Augen, » ... vielleicht ...« Anjas Stimme versagte.
»Ruhig, Frau Lange, ruhig ...«, versuchte er sie zu beruhigen, »... jetzt atmen Sie zweimal ein und aus, und dann sagen Sie mir, was los ist.«
Anja tat, was er gesagt hatte. »Es kann ... es kann sein, dass er meine Mutter mit dem Essen, das ich ihr heute in die Klinik gebracht habe, vergiften will. Er ...«, noch einmal musste Anja Luft holen, »... er hat mich vorhin angerufen und war außer sich, dass ich Sie engagiert habe. Ich bin dann ohnmächtig geworden, von seinen letzten Worten habe ich nur noch so etwas wie Bestrafung verstanden. Und als ich gerade eben wieder aufwachte, lag die Quittung des Essens und der Beipackzettel eines ziemlich gefährlichen Medikaments auf meinem Tisch. Beides habe ich nicht dort hingelegt und die Quittung müsste eigentlich noch in der Tüte bei meiner Mutter sein.« Ein weiterer Umstand wurde ihr bewusst und wieder versagte ihr die Stimme, doch sie schaffte es noch, einen Satz zu formulieren: »Scheiße ... das heißt ... das würde ja heißen, dass er auch in ihrem Krankenzimmer war.«
Selbst Mike konnte einen Augenblick lang keinen klaren Gedanken fassen. Erst als Anja leise fragte: »Können Sie die Polizei zu meiner Mutter schicken?«, wurde ihm etwas bewusst.
»Einen Moment noch ...«, bat er und sortierte seine Gedanken. Dann sagte er ebenso leise: »Nein, das geht nicht.« Anja wollte gerade protestieren, als er sich auf das Wichtigste besann. »Ich erkläre Ihnen gleich, warum das nicht geht, aber jetzt müssen wir uns erst einmal um Sie kümmern. Denken Sie, dass der Kerl noch im Haus ist?«
Anja warf erst einen Blick zu der offenen Küchentür, dann einen in Richtung des offenen Durchganges zum Wohnzimmer: »Ich glaube nicht, zumindest habe ich nichts gehört und nachschauen traue ich mich nicht.«
»Das sollten Sie auch nicht. Wo sind Sie gerade?«
»In der Küche ... ich habe ein Messer«, antwortete Anja.
Köstner rief sich den Grundriss des Hauses ins Gedächtnis: »O. k., Sie machen jetzt Folgendes: Das Handy lassen Sie an, gehen erst zu der Küchentür und verschließen diese mit der Hand, in der Sie das Handy halten; das Messer halten Sie auf Bauchhöhe ... verstanden?«
»Ja«, bestätigte Anja.
»Gut, dann los ... und nicht vergessen, das Messer ist wichtiger als das Handy.«
Obwohl Anja weiche Knie hatte, gab es ihr doch irgendwie Kraft, Köstner am Telefon zu wissen. Langsam und sich auf den schummrig beleuchteten Flur konzentrierend, ging sie zu der Tür, widerstand dem Drang draußen nachzusehen und verschloss die Tür. Anschließend hob sie das Handy an ihr Ohr und flüsterte: »Die Tür ist zu.«
»Gut«, antwortete Mike ebenso leise, »und jetzt machen Sie das Gleiche bei der zweiten Tür im Wohnzimmer.«
Als Anja auch diese verschlossen hatte, ging sie zurück in die Küche und fragte: »Und nun?«
Mike hatte die Zeit genutzt, um sich Gedanken zu machen: »O. k., Folgendes: Ich kann mir vorstellen, welche Angst Sie um Ihre Mutter haben, aber wir können die Polizei nicht einschalten. Sowohl diese Quittung als auch der Beipackzettel liegen bei Ihnen zuhause und durch Ihre angeblichen Falschaussagen würden Sie ganz oben auf der Liste der Verdächtigen landen. Und selbst wenn Sie nicht recht haben, was wir hoffen wollen, sinkt Ihre Glaubwürdigkeit auf null und man wird Sie für verwirrt halten.«
»Aber wir müssen doch etwas tun«, warf Anja verzweifelt ein.
»Werden wir auch«, Mike bemühte sich, beruhigend zu wirken, »wir legen jetzt auf und Sie rufen in der Klinik an. Dort erzählen Sie, dass Sie völlig vergessen haben, dass Ihre Mutter eine schwere Allergie gegen irgendeinen der Inhaltsstoffe dieser Tortellini hat und dass sie dieses mitgebrachte
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