Nachtkrieger: Unendliche Sehnsucht: Roman (Knaur TB) (German Edition)
hinaufzugehen.«
»Hm, zu viel zu tun«, murmelte Henry. Lucy warf einen Blick über die Schulter und sah, dass er ein paar Stufen hinter ihr war, in genau der richtigen Entfernung, um ihr Gesäß in Augenhöhe zu haben. Ein plötzliches Gefühl der Unsicherheit ließ sie stolpern, und rasch streckte Henry die Arme aus, um sie aufzufangen. Seine Hand landete auf ihrem Hinterteil, umfasste es, als hätte er es schon die ganze Zeit über darauf angelegt – und die Art, wie er ihr dabei zuzwinkerte, verstärkte diesen Eindruck. »Wie geht es Lady Eleanor? Ich hörte, sie sei krank.«
Lucy griff hinter sich und nahm seine Hand weg. »Ihr seid doch höchstens erst eine Stunde hier. Wie könnt Ihr da wissen …?«
»Spione. Ist sie krank?«
Lucy nickte. »Schon seit drei Tagen liegt sie mit Kopfschmerzen im Bett. Sie kann keinen Lärm und kein Licht vertragen.«
»Ah, deshalb hattet Ihr Zeit für ein Nickerchen im Garten.«
»Ihr wusstet, dass ich dort war, bevor Ihr mich fandet, oder?«
»Aye. Ich sagte doch, ich habe Spione.« Sie erreichten die Mauerkrone, und er nahm Lucys Hand und führte sie in Richtung Osten zu dem runden Turm, der sich am Rand des Grabens erhob, der einen beträchtlichen Teil von Alnwicks Verteidigungsanlage ausmachte. Als sie die Wachen passierten, die auf den Zinnen auf und ab gingen, grüßten viele von ihnen Henry mit Namen, wobei einige ihn Lord Henry nannten, was Lucy einmal mehr an die Kluft zwischen ihnen erinnerte.
»Ihr hattet recht, Mylord, von hier oben hat man einen sehr guten Blick auf die Männer.« Sie zog ihre Hand zurück. »Aber ich habe schon zu lange nicht mehr nach meiner Lady gesehen. Wenn Ihr mich nun entschuldigen würdet.«
»Entschuldigung nicht gewährt.« Er packte sie mit beiden Händen an der Taille, gerade fest genug, dass es lächerlich erschienen wäre, sich loszureißen. »Ihr habt doch eben erst gesagt, Eure Lady brauche Ruhe.«
»Aber es könnte sein, dass sie etwas benötigt.«
»Wenn es so wäre, hätte sie ein Dutzend Dienstboten in Reichweite, die sie rufen könnte.« Er drehte ihre Hand um und betrachtete sie, als hätte er nie zuvor eine Hand gesehen. Dann strich er mit einer Fingerspitze ihren Zeigefinger und ihre Handfläche hinunter. »Nein, hier geht es nicht um Eleanor.« Ohne aufzusehen strich er mit dem Finger hinauf bis zur Spitze ihres Mittelfingers. »Es geht um mich. Ihr wollt vor mir flüchten.«
»Ihr habt recht. Das will ich«, gab sie zu und zog ihre Hand zurück, aber es schien, als wäre sie an ihn gefesselt, denn sie bewegte sich nicht.
Ihre ganze Hand kribbelte, als er über ihren vierten Finger strich, haltmachte, wo ein Ring hätte stecken können. »Warum? Hat mein Kuss Euch nicht gefallen?«
»Das ist es nicht«, antwortete sie seufzend.
»Was dann?«
»Das wisst Ihr doch.«
»Ihr müsst es mir wohl sagen.«
Er stapfte los Richtung Turm, mit ihr im Schlepp, gerade als die Wache auf dem Turm ihn erspähte. Der Mann lehnte sich über die Brustwehr. »Willkommen zu Hause, Lord Henry!«
»Das«, sagte Lucy mit gepresster Stimme.
»James. Ich vermute, Eure Augen haben noch immer einen scharfen Blick. Der beste Wächter in ganz Northumberland«, fügte Henry als Erklärung für Lucy hinzu.
»Nicht länger nur Wächter, Mylord. Ich bin mittlerweile Sergeant der Tageswache.«
»Gut gemacht.« Henry wies mit dem Kopf auf die Tür, die in den Turm führte. »Ist dort jemand?«
»Dort sollte niemand sein, Mylord. Kein Mann sitzt jemals auf Hotspurs Platz, für den Fall, dass Ihr erscheint. Der Sitz wartet auf Euch.« Er warf einen Blick auf Lucy und nickte. »Das heißt, auf Euch und Eure Dame.«
Lachend führte Henry Lucy in das Turmzimmer. Es war überraschend hell, sonnenbelichtet durch Schießscharten und eine große, nicht verglaste Fensteröffnung. Plötzlich ernst, ließ Henry Lucys Hand los und ging zur Fensternische, nicht um auf die Männer im Burghof hinunterzusehen, sondern um einen steinernen Sitzplatz zu betrachten, der in den Laibungsbogen des hohen Fensters hineingehauen war. Er beugte sich hinunter und strich mit einer Hand darüber, fuhr die Konturen einer Stelle nach, die ein wenig abgenutzter und weicher schien als der Rest.
»Das war der Lieblingsplatz meines Vaters«, sagte er, als Lucy sich hinter ihn stellte. »Jeden Tag saß er hier, sah den Männern beim Exerzieren zu und rief Befehle hinunter.«
Sie ging um Henry herum, trat auf die Estrade, um in den weitläufigen Burghof hinunterzusehen,
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