Nachtkrieger
Eve
– der Abend vor dem Allerheiligentag. Ein Tag der dunklen Mächte, wenn böse Geister die Welt regieren.
»Bôte, bitte nicht!«, flehte sie.
»Nenn mich nicht beim Namen dieser Magd! Ich bin Cwen«, schrie die Hexe erhobenen Hauptes, als verleihe allein der Name ihr bereits Macht. »Britanniens Könige bedienten sich meiner Hexenkunst, lange bevor diese beiden hier geboren wurden, und das ist sehr lange her. Frag sie doch, wie alt sie sind!«
Verwirrt sah Alaida Ivo an, doch der schüttelte den Kopf und ging einen Schritt auf Cwen zu. »Ich frage dich noch einmal: Was willst du?«
»Es ist ganz einfach, Adler – deine Tochter gegen meinen Sohn. Dir wird nichts anderes übrigbleiben, als sie mir zu überlassen.«
»Nein!«, schrie Alaida und machte erneut einen Schritt auf das Feuer zu. Doch Ivo streckte den Arm aus und hielt sie zurück.
»Niemals!«, spie er Cwen seine Worte entgegen. »Lieber sterbe ich selbst.«
»Welch nichtiger Schwur, denn genau das ist dir versagt.« Im Schein des Feuers erstrahlte Cwens hageres Gesicht zu furchterregender Schönheit, was Alaida noch mehr in Schrecken versetzte. »Das war das Schlaueste an dem Fluch, mit dem ich euch belegt habe, und zugleich das Schwierigste. Aber ich wollte, dass eure Qualen niemals enden, so wie meine. Was ist es für ein Gefühl zu wissen, dass man die Sonne niemals wiedersehen wird?«
»Ich habe den Mond zu schätzen gelernt«, sagte Ivo.
»Ah, aber sicher erinnerst du dich noch daran, wie sich die Sonne anfühlt …« Cwen schnippte mit den Fingern, und wohlige Wärme durchströmte die Höhle, ganz wie unter einem sonnenbeschienenen Himmel. »Ein herrlicher Sommernachmittag …« Noch ein Fingerschnippen, und sogleich wehte ein leichter Wind und trug den Duft nach frischem Heu herein. »Das Sonnenlicht auf den Wellen, wenn man heimwärts segelt …« Schnipp, und schon ertönte das Schlagen von Wellen an den Rumpf eines Schiffes.
Seufzend hob Ivo den Kopf und schloss die Augen.
»All das wirst du wieder erleben dürfen«, flüsterte Cwen. »Gib mir Beatrice, und ich werde dich von dem Fluch befreien. Dann kannst du wieder als Mensch bei Sonnenlicht zu Hause leben. Ich werde für Beatrice sorgen und sie lieben wie ein eigenes Kind. Du brauchst nur einzuwilligen, und schon bekommst du dein Leben zurück.«
Trotz ihrer Angst verstand Alaida, wie verlockend Cwens Angebot für Ivo sein musste.
Als Mensch. Zu Hause.
Ein einziges Wort, und er wird die Sonne wiedersehen. Alles, was er dafür tun musste, war, ihrer beider Tochter Cwen zu überlassen. Er würde es tun. Sie wusste, er würde es tun.
O Gott! Bitte nicht.
Ivo öffnete die Lider und schaute tief in Cwens kalte blaue Augen. »Nimm mich an ihrer Stelle.«
»Nein«, schrie Brand, und in dem Moment wurde Alaida bewusst, dass sie selbst ebenfalls geschrien hatte.
Doch Ivo achtete nicht auf die beiden. »Ich werde an die Stelle deines Sohnes treten«, sagte er. »Ich werde dich ehren und lernen, dich zu lieben, so wie ein Sohn seine Mutter liebt.«
»Du!
Glaubst du etwa, ich würde eine der Bestien, die mein Kind getötet haben, als Sohn haben wollen?« Cwen bebte vor Zorn, so dass Beatrice sich in ihren Armen hin und her bewegte.
Ivo ließ sein Schwert fallen. Er ging noch einen Schritt auf das Feuer zu und streckte mit gekreuzten Handgelenken die Arme aus. »Dann nimm mich als deinen Sklaven, um mich zu quälen, wie es dir beliebt.«
»Nimm mich!«, sagte Brand. »Ich war es, der Sigeweard getötet hat. Mir sollte deine Rache gelten. Richte deinen Zorn gegen mich, Hexe. Daran wirst du mehr Vergnügen finden.«
»Mit dir, Bär, habe ich andere Pläne«, sagte Cwen mit einer Stimme, dass Alaida Gänsehaut bekam. »Ich will das Kind. Beatrice ist noch jung. Sie wird mich wie eine Mutter lieben.«
»So wie ich?«, fragte Alaida und schluchzte auf, während ihr Tränen in die Augen stiegen. »Wer auch immer du bist, für mich bist du Bôte, meine Amme, die mich aufgezogen hat, die mich in ihren Armen gewiegt und mir das Handarbeiten beigebracht hat. Meine Bôte, die ich all die Jahre geliebt habe. Siehst du denn nicht, dass du längst ein Kind hast?«
Cwens Gesichtsausdruck wurde weicher. »Nur beinahe, mein Lämmchen. Vor allem galt deine Liebe deiner Mutter und dann deiner Großmutter. Dieses Kind hingegen wird nur mich lieben.«
»Und wer bleibt mir dann noch?«, fragte Alaida. »Wie kannst du mir mein Kind nehmen, wo du doch weißt, wie schmerzhaft das ist?«
»Ich
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