Nachtkrieger
ein Bein hoch, um seinen Unterleib zu schützen. Alaida nutzte den Sekundenbruchteil, in dem Ivo außer Balance geriet, packte ihn am Kragen, zog ihn zu sich heran und umfasste sein Gesicht. Vor lauter Überraschung öffnete er den Mund, und schon drang ihre Zunge ein, fand seine, und dann küsste sie ihn, zunächst sanft, dann leidenschaftlich, kenntnisreich, bis sie einen genussvollen Seufzer vernahm. Im selben Moment stieß sie Ivo von sich, riss das Messer aus dem Holz und wandte sich wieder der Tischgesellschaft zu, während Lord Ivo vollkommen perplex in seinem Stuhl hing.
Mit ähnlich verblüfftem Gesicht wie sie selbst vorhin, dachte sie voller Genugtuung.
»Ich sagte, Neville habe mich nicht geküsst, aber das heißt nicht, dass es nicht jemand anders getan hat«, verkündete Alaida gut gelaunt und schnitt sich ein Stück Hammelfleisch ab.
Die Halle brach in Lachen aus. Am lautesten lachte Sir Brand, und dieses Mal hatte Alaida nichts dagegen.
Fassungslos starrte Ivo Alaida an, die ihrerseits einen der Dienstboten heranwinkte und auf den Pokal zeigte.
»Seht zu, dass er immer gut gefüllt ist«, befahl sie. »Und bringt diese Pastete zurück.« Mit einem scharfen Blick auf ihren nach wie vor sprachlosen Ehemann fügte sie hinzu: »Mein Herr und Gebieter mag vielleicht keine Tauben, ich dagegen sehr wohl.«
Welcher Mann hatte ihr beigebracht, so zu küssen?
Tausend Fragen schossen Ivo durch den Kopf, während er verwirrt zusah, wie Alaida ihre Taubenpastete verzehrte. Die meisten dieser Fragen liefen auf das Gleiche hinaus: Wer hatte sie geküsst? Warum hatte sie es zugelassen? Wo könnte er diesen Hurensohn finden? Und wie laut würde er schreien, wenn er ihn tötete?
Eine kleine Zelle in seinem Kopf war dem unbekannten Ritter – ein Ritter musste es doch wohl mindestens gewesen sein – dankbar für das, was er Alaida beigebracht hatte, der Rest von ihm aber wollte dem Kerl die Lungen aus dem Leib reißen und sie als Flagge über das Tor hängen. Aber seltsam, dass seine Wut das Bild, das er sich von Alaida gemacht hatte, nicht beeinträchtigte. Er war eifersüchtig, weil jemand vor ihm ihre Lippen berührt hatte, aber er hegte keinen Groll gegen Alaida selbst.
Diese Frau, seine Frau, war ein Rätsel, so wechselhaft, dass er nicht einmal von einem Atemzug zum nächsten hätte voraussagen können, in welcher Stimmung sie war. Zuerst war sie wütend gewesen, dann ergeben, dann verängstigt, dann empört, und nun … war sie wie?
Selbstbewusst. Das war es: Selbstbewusstsein.
Sie saß neben ihm und ließ sich das Festmahl schmecken, ohne Notiz von ihm zu nehmen, ganz so, als sei er einer der Dienstboten. Offenbar war es ihr durch diesen Kuss gelungen, sich auf ihr temperamentvolles Wesen zu besinnen, das ihm vom ersten Moment an gefallen hatte.
Dann war der Kuss eine gute Sache gewesen. Etwas, worauf er aufbauen konnte. Etwas, was ihm möglicherweise einen neuen Armreif einbringen würde.
Nachdem Ivo sich darüber klargeworden war, lehnte er sich zurück. Er beobachtete seine Frau und überlegte, wie er sich ihr am besten näherte. Ihr den Hof machte. Sie zum Lachen brachte.
Ihr … ein Stöhnen entlockte.
Kapitel 5
A laida verdrängte den Gedanken an das, was als Nächstes bevorstand, und inspizierte die Süßspeisen, die man ihr auf einem Tablett reichte. Aus dem Augenwinkel sah sie, dass Ivo sich zurückgelehnt hatte und sie nachdenklich betrachtete. Er kaute auf seiner Unterlippe, als grübele er, um ein kniffliges Rätsel zu lösen. Alaida kannte diesen Gesichtsausdruck von ihrem Großvater. Mindestens tausendmal hatte sie ihn gesehen, wenn ihr Großvater vor dem Schach- oder Mühlebrett saß oder wenn er sich über einen Schlachtplan beugte. Für Männer war das alles dasselbe: ein Spiel. Die Tatsache, dass einige ihrer Spiele Gewalt beinhalteten und Menschen das Leben kosten konnten, war scheinbar von untergeordneter Bedeutung.
Jetzt war sie dran. Spiel oder Krieg?
Nun gut. Eigentlich war es ihr sogar lieber, dass Ivo sie als Gegner und nicht als sein Eigentum betrachtete. Immerhin das hatte sie mit ihrem unbedachten Kuss erreicht. Sie nahm sich ein Stück Mandelgebäck und knabberte daran herum. Auch sie musste einen Schlachtplan entwerfen.
Kaum hatte sie den ersten Bissen hinuntergeschluckt, als Ivo ihrer beider Pokal zur Seite stellte und sich erhob. »Es ist spät, My Lady. Lasst uns zu Bett gehen.«
Es war so weit. Der Krieg begann.
Alaida entging das Gelächter an den
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