Nachtkrieger
schnarchen hörte, musste er lächeln, teils aus Erleichterung, teils aus Belustigung. Seine Frau schnarchte! Eigentlich konnte man es kaum als Schnarchen bezeichnen, jedenfalls nicht, wenn man sein Leben lang unter Männern verbracht hatte, die so laut schnarchten, dass sie die Pferde im nächsten Dorf scheu machten. Wahrscheinlich würde Alaida es ohnehin abstreiten, Ivo aber mochte es. So saß er da und lauschte ihren Atemzügen, bis sie tiefer eingeschlafen war.
Erst als er sich sicher war, dass er sie nicht anrühren würde, löschte er die Kerzen, streifte seine Schuhe ab und legte sich vollständig angezogen neben sie.
Sie schmiegte sich an ihn, warm und weich, und ihr Duft stieg ihm in die Nase. Er atmete tief ein, prüfte sich abermals und legte schließlich den Arm um sie. Ja, so würde es gehen. Immerhin das durfte er doch wohl genießen, wenn ihm schon alle anderen Freuden der Ehe versagt blieben. Und so hielt er sie in seinen Armen, während ihr Atem ruhiger wurde und sie abermals leise zu schnarchen begann. Schließlich drehte sie sich auf die Seite, und der warme Abdruck ihres Körpers erkaltete.
Als Ivo wenig später aufstand, zeichneten sich die Formen seines Körpers deutlich auf der Matratze und auf dem Kopfkissen ab. Das würde die anderen am nächsten Morgen zufriedenstellen. Wenn er Glück hatte, würde Alaida sich sogar daran erinnern, dass er sie in seinen Armen gehalten hatte. Er zog seine Schuhe an, nahm Umhang und Schwert und ging hinunter in die Halle.
Brand war draußen. Er hatte sich über den Brunnen gebeugt und lauschte angestrengt. Als er Ivo bemerkte, hob er den Kopf. »Alles in Ordnung?«
Ivo nickte. »Und, hast du etwas gehört?«
»Überzeug dich selbst.«
Ivo versuchte, irgendein Geräusch auszumachen. »Ich kann nichts …«
Plötzlich hörte er ein kaum wahrnehmbares Donnern, das ihm die Haare zu Berge stehen ließ. Er beugte sich so tief in den Brunnenschacht hinab, dass er Gefahr lief, hineinzustürzen und sich den Hals zu brechen.
Sch-tum,
ertönte es wie ein weit entfernter Donner oder wie ein Baum, der in der Ferne gefällt wurde. Doch das Geräusch kam eindeutig aus dem Brunnen. Ivo hielt den Atem an.
Sch-tum.
»Das Herz des Drachen«, flüsterte er.
»Nein«, antwortete Brand. »Hör noch einmal genau hin!«
Sch-tum.
Ivo schloss die Augen und konzentrierte sich ganz auf die Schläge, die im Brunnenschacht widerhallten, schwach und weit entfernt, aber stetig.
Sch-tum.
Pause.
Sch-tum.
Und plötzlich wusste er, was es war: Der Rhythmus, der sein Leben so viele Jahre über bestimmt hatte. »Es ist das Meer. Das Rollen der Wellen.«
»Aye. Zu diesem Schluss bin ich auch gekommen«, sagte Brand und richtete sich ächzend auf. »Die Brandung. Man hört sie nur, wenn es vollkommen windstill ist. Vorhin wehte eine leichte Brise, deshalb habe ich zunächst nichts gehört. Aber als der Wind sich legte …«
»Die Küste ist nur wenige Wegstunden entfernt«, sagte Ivo und richtete sich ebenfalls auf. »Irgendwie muss das Geräusch unterirdisch übertragen werden. Kein Wunder, dass es den Dorfbewohnern unheimlich erscheint. Die meisten sind allenfalls bis Lesbury gereist und haben das Meer noch nie gehört.«
»Wirst du es ihnen sagen?«, fragte Brand.
Ivo schüttelte den Kopf. »Nicht, wenn es sich vermeiden lässt. Ich bin gespannt darauf, was die Ältesten zu erzählen haben.«
»Ohne Ungeheuer und ohne Verpflichtung kannst du die Burg errichten, wo du willst.«
Ivo warf sich seinen Umhang um die Schultern und schloss ihn mit der Fibel. »Verpflichtung oder nicht, ich werde die Burg dort errichten, wo sie Alaida am dienlichsten ist, wenn ich gegangen bin.«
»Mm.« Wie so oft in letzter Zeit sah Brand seinen Freund nachdenklich und zweifelnd an. Er nickte achselzuckend und fragte: »Willst du heute wirklich schon so früh aufbrechen? Tom hat die Pferde sicher noch nicht gesattelt.«
»Wahrscheinlich nicht«, sagte Ivo und ging voraus zu den Ställen.
Einige Tage später, als Alaida morgens das Fenstergitter herausnahm, sah sie, wie ein paar Männer auf dem freien Feld hinter dem Haus einen großen Kreis abschritten. Zu diesem Zweck benutzten sie einen Strick, der an einem Holzpfosten im Mittelpunkt des Kreises angebracht war, und zeichneten den Kreis mit Kreidepulver nach. Eine weitere Gruppe Männer zeichnete im Abstand von etwa fünf Metern einen zweiten Kreis im Inneren des ersten – vermutlich, um den Ringgraben zu markieren. Sir Ari und Oswald
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