Nachtkuss - Howard, L: Nachtkuss - Burn
nach diesem grundlegenden Schritt ging es ihr spürbar besser. Sie hatte alles unter Kontrolle. Niemand konnte sie zwingen, etwas zu tun, das sie nicht wollte. Wenn ihr die Leute bei Payne Echols nicht sympathisch waren, würde sie sich für eine andere Finanzberatung entscheiden.
Sie atmete kurz durch und rief an. Beim zweiten Läuten meldete sich auch hier wieder eine professionell wohlklingende Stimme: »Payne Echols Financial Services. Was kann ich für Sie tun?«
»Ich weiß nicht genau. Ich hätte gern einen Termin, und zwar so bald wie möglich.«
Die Frau zögerte kurz. »Darf ich fragen, worum es geht? Dann weiß ich, welcher Berater sich bei Ihrem Anliegen am besten auskennt.«
»Ähm …« Jenner überlegte kurz, denn sie wollte nur ungern mit der Wahrheit herausplatzen. »Ich habe etwas geerbt, um die fünfzigtausend, und würde gern wissen, wie ich das Geld anlegen soll.« Sie hatte die Summe aus der Luft gegriffen, aber sie kam ihr passend vor, weil sie einerseits groß genug war, um sich beraten zu lassen, andererseits aber nicht so groß, dass sie besondere Aufmerksamkeit erregen würde.
»Einen Moment bitte.« Die Frau hatte wieder ihre Honigstimme eingesetzt. »Ich verbinde Sie weiter.«
»Moment! Mit wem denn?«
»Mit der Assistentin von Miss Smith. Sie wird einen Termin mit Ihnen vereinbaren.«
Eine halbe Sekunde blieb die Leitung tot, dann wurde ihr Trommelfell mit blecherner Warteschleifenmusik malträtiert. Was sollte das, wollte man sie vielleicht so sehr langweilen, dass sie irgendwann auflegte? Warum wurde in den Warteschleifen nie was Lebhaftes oder Interessantes gespielt?
Sie wartete eine Weile und versuchte dabei die grässliche Musik zu ignorieren. Wie lange konnte es schon dauern, ein Gespräch weiterzuvermitteln? Leicht verärgert klopfte sie mit dem großen Zeh auf den Boden. Gerade als sie sich entschieden hatte aufzulegen, hörte sie ein leises Klicken, und die nächste samtene Frauenstimme fragte: »Büro Ms Smith, was kann ich für Sie tun?«
Allmählich hatte sie diese unpersönlichen perfekten Stimmen satt. Ob diese Leute wohl gefeuert wurden, wenn sie etwas so Banales wie echtes Interesse erkennen ließen? »Ich heiße Jenner Redwine. Ich möchte einen Termin mit Ms Smith vereinbaren.«
»Gern, Ms Redwine. Wann würde es Ihnen denn passen?«
»So bald wie möglich. Am besten jetzt gleich.«
»Jetzt? Mal sehen … Ms Smith hätte tatsächlich in fünfundvierzig Minuten einen Termin frei. Wäre es Ihnen möglich, bis dahin bei uns zu sein?«
»Ja, ich komme zu Ihnen.«
Jenner legte auf, schob den Tippschein mit dem Zeitungsausriss in ihr Portemonnaie, steckte das Portemonnaie in ihre Jeans-Handtasche und ging dann nach draußen, um die Blaue Gans aufzuschließen. Wie üblich klemmte die Fahrertür, was Jenner einen halblauten Fluch entlockte. Fünfundvierzig Minuten waren im Stadtverkehr von Chicago nicht allzu viel, und sie hatte keine Zeit für ein Kräftemessen mit einer Autotür. Sie packte den Griff fester und riss energisch daran, woraufhin die Tür so unversehens aufflog, dass Jenner mit dem Hintern auf dem Boden landete.
»Als Erstes«, grummelte sie, »lege ich mir ein neues Auto zu.« Es brauchte kein besonders schickes Auto zu sein, Hauptsache, es war neu , beulenfrei und mit leicht zu öffnenden Türen. Und danach - wer weiß … Über das »Danach« machte sie sich lieber keine Gedanken. Ein Schritt nach dem anderen, und der erste Schritt bestand darin, das mit dem Geld zu organisieren.
Auf der Fahrt spielte sie mit dem Gedanken, Michelle anzurufen und ihr zu erzählen, was ihr gerade widerfuhr. Sie wühlte sogar das Handy aus ihrer Tasche und tippte die ersten Ziffern ein, doch dann drückte sie die Abbruch-Taste und versenkte das Telefon wieder in der Tasche. Michelle würde glauben, dass sie Witze machte, aber … wenn nicht? Wieder erwachte dieses Misstrauen. Bevor jemand von ihrem Gewinn erfuhr, wollte Jenner alles geklärt und geregelt haben.
Die Büros von Payne Echols befanden sich im Stadtzentrum,
wo es weit und breit keine Parkmöglichkeit gab, aber beim Vorbeifahren fiel ihr auf, dass die Firma über einen Privatparkplatz verfügte, der von einem Wachmann beaufsichtigt wurde, damit keine Normalsterblichen ihr Auto dort abstellten. Sie fuhr an die orangefarbene Schranke und kurbelte das Fenster nach unten. Der Wachmann warf einen Blick auf die Blaue Gans, und sie konnte erkennen, wie der Zweifel in ihm zu keimen begann. »Ich habe einen
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