Nachtkuss - Howard, L: Nachtkuss - Burn
dieser Betrag in so einer Firma, selbst in den weniger großzügigen Büros, als Peanuts. Sie ließ sich zum zweiten Mal auf der Polsterkante eines Sofas nieder, und dann sah sie Al Smith über den tiefen Schreibtisch hinweg an.
Man konnte Ms Smith schwerlich als Schönheit bezeichnen. Sie hatte nicht nur viel zu kurze Haare, sie trug auch kaum Make-up - wenn überhaupt - und wirkte in ihrem grauen Anzug eher kantig. Falls man nach ihrem faltenfreien Gesicht gehen konnte, war sie nur wenig älter als Jenner, aber das Image, das sie verbreiten wollte, war das einer zehn Jahre älteren Frau. Ihre Augen waren irritierend hell, und sie sah aus, als würde sie sich zum Lachen in den Tresorraum einschließen lassen.
Jenner war kein vertrauensseliger Mensch. Dass diese Frau für eine bekannte Finanzplanungsfirma arbeitete, hieß noch lange nicht, dass Ms Smith zuverlässig und ehrlich war. Trotzdem sagte Jenner ihre in jeder Hinsicht ungeschminkte Art zu.
»Darf ich Ihnen eine persönliche Frage stellen?«, erkundigte sie sich schließlich.
Ms Smith wirkte halbwegs interessiert. »Natürlich. Das heißt aber nicht, dass ich sie unbedingt beantworten werde.«
»Das ist nur fair. Wie lange arbeiten Sie schon hier?« »Gute zwei Jahre.« Die Frage schien sie nicht zu überraschen. »Es ist nicht zu übersehen, dass ich unten am Totempfahl sitze. Aber das bedeutet nicht, dass ich keine gute Arbeit leiste. Ich arbeite mich hoch.«
»Wie alt sind Sie?«
Ms Smith lachte auf. »Das ist eine persönlichere Frage, als ich erwartet hätte, aber ich werde sie trotzdem beantworten. Ich bin siebenundzwanzig. Ja, ich bin jung. Ich kann Ihre Bedenken verstehen. Aber ich bin hier, um Ihnen
zu helfen, und ich werde nicht ewig in einem so kleinen Büro sitzen.«
Ihr offener Ehrgeiz gefiel Jenner besser als jede unverbindliche, diplomatische Floskel. Während sie sich in dem kleinen Büro umsah, kam ihr der Gedanke, dass Al Smith früher aufsteigen könnte, als sie erwartete. Ihr Blick fiel auf das Regal hinter ihrem Schreibtisch. Darin standen ein paar Pflanzen - kleiner und bei Weitem nicht so perfekt wie die in der Lobby -, zwischen denen ein paar schlicht gerahmte Schnappschüsse von Ms Smith aufgestellt waren, auf denen sie Arm in Arm mit einer anderen Frau in die Kamera lächelte. Die Pose wirkte auf Jenner irgendwie romantisch, weswegen sie die Fotos einen Sekundenbruchteil zu lang anstarrte.
Ms Smith drehte sich um, blickte auf die Bilder, und ihr Mund spannte sich an. »Ja, Ms Redwine. Ich bin lesbisch - aber keine Sorge; Sie sind nicht mein Typ. Dünne kleine Blondinen liegen mir nicht.«
Aufgrund der Fotos hätte Jenner getippt, dass Ms Smith große, kurvige Rothaarige bevorzugte. Jedem das Seine - oder besser: Jeder die Ihre.
Jenner lächelte und sank in den Stuhl zurück. Ihr gefiel diese ehrliche, unverklemmte Frau. »Ich habe nicht geerbt«, gestand sie und wühlte in ihrer Handtasche nach ihrem Portemonnaie. Sie klappte es auf, zog den Zeitungsausriss heraus und legte ihn vor Ms Smith auf den Schreibtisch. Danach nahm sie den Tippschein heraus und legte ihn daneben.
Ms Smith sah sie neugierig an, griff nach ihrer Brille und setzte sie auf. Sie betrachtete die beiden Zettel, und Jenner konnte sehen, wie sich ihre Miene veränderte, als ihr aufging, was sie da vor sich hatte. »Ach du Sch… - Verzeihung. Ist es das, was ich glaube?«
»Ja.«
Al Smith ließ sich zurückfallen. Mit einem Finger rückte sie die Brille gerade, wie um sich zu überzeugen, dass sie richtig gesehen hatte. Sie sah abwechselnd auf den Zeitungsabschnitt und den Tippschein, genau wie Jenner es getan hatte. Schließlich hob sie den Kopf und sah ihre neue Kundin offen an. Zum ersten Mal lag ein Lachen in ihrer Stimme. »Ich glaube, ich habe eben gemerkt, dass ich doch auf dünne Blondinen stehe.«
Vor Überraschung stieß Jenner ein ironisches Schnauben aus. »Tut mir leid. Ich bevorzuge Männer. Außerdem sieht Ihr Rotschopf so aus, als sollte ich mich lieber nicht mit ihr anlegen.«
»Allerdings«, gab Al zu. Jenner und sie lächelten einander an - zwei junge Frauen, die sich beide nicht unterbuttern ließen und aneinander ähnliche Qualitäten entdeckten. Beide waren gewohnt, hart zu arbeiten. Al verdiente zweifelsfrei mehr als Jenner, aber auch sie musste sich auf der Karriereleiter mit Zähnen und Klauen nach oben kämpfen.
Jenner kannte sich kein bisschen mit Finanzplanung aus, aber sie kannte sich mit Menschen aus und wusste, wie
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