Nachtkuss - Howard, L: Nachtkuss - Burn
fand?
Abwarten, bis sie den nächsten bekam, ganz einfach. Die logische Antwort lockerte das enge Band, das ihr die Brust zugeschnürt hatte. »Okay, und sonst?«
»Das ist alles. Tippschein, Ausweis, Sozialversicherungsnummer. Wann möchten Sie denn vorbeikommen?«
»Ich weiß nicht.« Das hing davon ab, wie lange sie brauchte, um einen Lohnzettel zu finden - falls sie überhaupt einen fand. »Morgen Vormittag wahrscheinlich. Allerspätestens Freitagnachmittag. Brauche ich einen Termin?«
Er lachte kurz. »Nein, das ist nicht nötig. Unser Büro ist
von acht Uhr bis sechzehn Uhr dreißig geöffnet.« Er nannte ihr eine Adresse im siebten Stock eines Gebäudes in der Innenstadt, nicht weit vom Rathaus entfernt. Sie war noch nie im Rathaus gewesen, aber sie war sicher, dass es dort weit und breit keine Parkplätze gab. Wahrscheinlich sollte sie lieber mit dem Bus hinfahren.
Nachdem sie dem Mann gedankt und aufgelegt hatte, begann sie ihren Schrank und alle Handtaschen zu durchwühlen, um ihre Sozialversicherungskarte aufzustöbern. Sie hatte nie besonders darauf Acht gegeben, denn, verflucht noch mal, sie wusste die Nummer auswendig, und schließlich besaß sie nichts, was jemand anders hätte haben wollen. Na schön, jetzt besaß sie sehr wohl etwas, das viele Menschen haben wollten, und so öffnete sie, leise über ihre Dummheit fluchend, jedes Fach jeder alten Geldbörse, auf die sie stieß. Nie, nie wieder würde sie so unvorsichtig sein. Wenn sie die verdammte Karte je wiederfand, würde sie in dem Schließfach landen, das sie noch nicht besaß, und zwar mitsamt dem ganzen anderen wichtigen Kram, den sie noch nicht besaß, aber bald besitzen würde.
Schließlich gab sie auf. Wahrscheinlich gab es die Karte längst nicht mehr, wahrscheinlich war sie längst in einer Müllverbrennungsanlage verheizt worden. Sie hatte sie vorgelegt, als sie ihren Führerschein gemacht hatte, aber zum Erneuern des Führerscheines wurde sie nicht verlangt. Darum hatte Jenner nicht weiter darauf geachtet - und seit sie ihren Führerschein gemacht hatte, war sie schon mindestens dreimal umgezogen.
Also würde sie einen Lohnzettel als Beleg brauchen. Ihre Lohnzettel bewahrte sie genauso wenig auf. Normalerweise ließ sie die Dinger einfach in ihre Tasche fallen, nachdem sie den Lohnscheck eingelöst hatte, oder sie landeten
im Handschuhfach der Gans. Sie achtete zwar darauf, dass ihr Gefährt nicht völlig in Müll versank - das arme Ding sah auch so schon schlimm genug aus -, aber ihr wollte partout nicht einfallen, wann sie das letzte Mal alle Papierschnipsel weggeworfen hatte, die sich dort wie von selbst anzusammeln schienen.
Sie lief nach draußen, schloss die Beifahrertür auf und beugte sich in den Wagen, um einen Blick ins Handschuhfach zu werfen. Papierservietten diverser Fastfood-Restaurants purzelten ihr entgegen, dazu Ketchup-Packungen, kleine Salz- und Pfeffertütchen, Strohhalme, halb geschmolzene Pfefferminzbonbons, Kaugummis - und zwei zerknüllte Lohnzettel. Jenner griff danach, drückte sie an ihre Brust und schickte für den Fall, dass Gott gerade zuhörte, mit geschlossenen Augen ein stilles Dankgebet zum Himmel.
Sie nahm den ganzen Müll und die Lohnzettel mit ins Haus, wo sie einen Lohnzettel sorgsam neben dem Tippschein in ihrer Geldbörse verstaute. Dann griff sie zur Schere und schnitt den verbleibenden Zettel akribisch in winziges Konfetti, das sie anschließend in der Toilette wegspülte. Von jetzt an musste sie mit ihren Daten extrem vorsichtig umgehen.
Sie warf einen Blick auf die Uhr: fast Mittag. Ihr blieb keine Zeit mehr, vor der Arbeit in die Stadt und wieder zurück zu fahren, und eine leise Stimme mahnte sie, dass sie ihren Job vielleicht besser noch nicht hinschmeißen sollte. Vielleicht nächste Woche , dachte sie. Mann! Sie musste sich unbedingt erkundigen, wie lange es dauerte, das Geld zu bekommen, denn bis dahin musste sie auch irgendwie überleben.
Sie griff zum Telefon und drückte die Wahlwiederholungstaste. Als derselbe Mann sich meldete, sagte sie: »Ich
habe vorhin schon mal angerufen. Wie lange dauert es, bis ich das Geld bekomme, nachdem ich den Schein abgeliefert habe?«
»Vier bis acht Wochen«, erwiderte er.
»Ach du Sch…! Das ist nicht Ihr Ernst.« Sie war fassungslos. Hatte sie ein Glück, dass sie ihren Job nicht schon gestern hingeworfen hatte!
»Doch. Der Anspruch wird erst in einem aufwändigen Verfahren geprüft, denn wir möchten schließlich keinen Fehler
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