Nachtkuss - Howard, L: Nachtkuss - Burn
vermisst, dass sie noch nie von ihnen gehört hatte -, Menschen, die ihr die einmalige Gelegenheit eröffneten, beim
Start-up einer genialen Geschäftsidee dabei sein zu können, Freunde, die nur mal kurz wissen wollten, ob sie ihnen aus einer finanziellen Klemme helfen konnte … - die Liste wollte kein Ende nehmen. Anfangs hatte sie jedem einzelnen geduldig erklärt, dass sie noch keinen Cent von ihrem Gewinn gesehen hatte und dass sie wahrscheinlich erst in Monaten zu Geld kommen würde, aber bald hatte sie einsehen müssen, dass sich diese Schnorrer von keiner noch so vernünftigen Erklärung beirren ließen. Manche wollten ihr einfach nicht glauben.
Sie fischte ihr Handy aus der Tasche und rief Al an, die sich zur Stimme der Vernunft, zu ihrem Rettungsanker entwickelt hatte. »Ich werde auf die Hälfte des Gewinns verklagt«, verkündete sie unverblümt, als Al am Apparat war. »Von einem Exfreund - ich hatte ihn vor der Ziehung rausgeworfen und kann das beweisen, weil ich eine Freundin angerufen habe und wir das gefeiert haben.«
»Hatten Sie eine gemeinsame Wohnung?«, fragte Al sofort.
»Nein. Nie. Er hat meine Gutmütigkeit zu schnell überstrapaziert.«
»Ich weiß, dass Sie das nicht wollen, aber Sie werden sich einen Anwalt nehmen müssen. Sie müssen auf die Klage reagieren und sie gerichtlich anfechten, denn sonst werden seine Ansprüche automatisch gültig.« Al hatte ihr schon länger zu einem Anwalt geraten, wogegen sich Jenner bislang gesträubt hatte, weil sie keine zusätzlichen Ausgaben riskieren wollte, bevor sie das Geld bekommen hatte, doch Jenner wusste sehr wohl, wann sie handeln musste.
»Na schön, also einmal einen Anwalt. Kann Dylan überhaupt gewinnen?«
»Eigentlich nicht. Ein Anwalt kann Sie da genauer beraten
als ich. Wahrscheinlich hofft er einfach, dass Sie ihn auszahlen, bevor es zur Verhandlung kommt, weil sich solche Anwaltsgebühren schnell summieren. Seien Sie nicht überrascht, wenn er eine außergerichtliche Einigung über, puh, vielleicht fünfzigtausend Dollar vorschlägt, sobald Ihr Anwalt mit seinem Anwalt Kontakt aufnimmt.«
»Der kriegt keinen Cent, selbst wenn der Anwalt noch so viel kostet.« Jenner biss die Zähne zusammen. Sie sah kurz auf ihre Armbanduhr, dann auf den Angestellteneingang. Wenn sie sich nicht beeilte, würde sie zu spät stempeln. »Ich muss los. Sonst komme ich zu spät.«
»Hören Sie endlich auf mich: Kündigen Sie.«
»Und wovon soll ich leben, bis das Geld kommt?«
»Leihen Sie sich fünfzehn- oder zwanzigtausend von der Bank. Die geben Ihnen das Geld bestimmt gern und auch ohne weitere Sicherheiten. Fahren Sie in Urlaub und tauchen Sie unter, bis sich der Staub gelegt hat.«
Al hatte ihr das schon geraten, seit Jenners Name in der Zeitung gestanden hatte, aber nachdem sich Jenner so lange von Wochenlohn zu Wochenlohn gehangelt hatte, brachte sie einfach nicht die Lässigkeit auf, eben mal einen Kredit über zwanzigtausend Dollar aufzunehmen. Das war eine Menge Geld, ein Fünftel des Betrags, der auf ihrem Girokonto landen sollte. Für sie war das Geldverschwendung, von der sie rein gar nichts hatte, und das brachte sie einfach nicht fertig. Jedenfalls noch nicht. In der Arbeit wurde es zunehmend unangenehmer; darum wollte sie nichts ausschließen.
»Ich denke darüber nach.« Zum ersten Mal überhaupt gab sie nach und zog zumindest in Betracht, ihren Job zu kündigen. »Ich weiß nicht, wie lange ich das noch durchhalte.« Es fiel ihr schwer, auch nur diese kleine Schwäche
zuzugeben, so als wäre sie allein dadurch zur Memme mutiert. Sie beendete das Gespräch und stapfte auf den Eingang der Fabrik zu.
Aber es waren nicht nur die zahllosen Leute, die Geld von ihr wollten, es war nicht einmal Dylan. Es war alles zusammen. Anfangs hatten ihre Kolleginnen noch mit ihr gefeiert - doch schon bald hatten die spitzen Kommentare eingesetzt. Wieso arbeitete sie immer noch, wenn sie das Geld nicht brauchte? Sie nahm jemandem den Job weg, der wirklich einen Job brauchte - womit stets eine Verwandte oder Freundin oder irgendwer aus dem Bekanntenkreis gemeint war, der Arbeit suchte. Ihre Erklärung, dass es so lange dauerte, das Geld zu bekommen, war in den Wind gesprochen, denn in den Augen ihrer Kolleginnen hatte sie Alternativen und daher keinen Grund, noch länger zu arbeiten. Und vielleicht hatten sie recht. Vielleicht sollte sie einfach Als Rat befolgen, einen Kredit aufnehmen und verschwinden, was gleichzeitig den Vorteil hätte, dass
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