Nachtkuss - Howard, L: Nachtkuss - Burn
hatte das harte Pflaster Chicagos schon vor vielen Jahren verlassen, aber die alten Instinkte waren noch lebendig. Ihre Brauen und ihr Kinn senkten sich kampfbereit, dann trat sie einen Schritt zurück, um ihre Feindin besser fixieren zu können.
»Versuchen Sie das lieber nicht«, riet Bridget ihr sanft. »Ich kann Sie in Null Komma nichts fertigmachen.«
Jetzt, da Jenner die Frau richtig in Augenschein nahm, musste sie ihr widerwillig recht geben. Jenner hielt sich durchaus in Form, aber bei Bridget zeichneten sich die Muskeln sogar unter der festen Uniform ab. Jenner hatte sich oft einen größeren Busen gewünscht, aber im Moment pfiff sie auf den Busen; sie hätte ihre gesamte Oberweite für ein paar Muskeln gegeben, die zu den vielen Judostunden passten, die sie genommen hatte.
Das Problem war, dass Bridgets Kampftraining höchstwahrscheinlich weit über ein paar Selbstverteidigungskurse hinausreichte. Und abgesehen von ihren Muskeln hatte sie noch etwas: Sydney. Schon der Gedanke, dass ihre Freundin von irgendwelchen Menschen gefangen gehalten wurde, erstickte Jenners aufflammenden Wunsch, ihrer Gegnerin an die Kehle zu springen und sich dabei ihre eigene wund zu schreien.
Trotzdem fühlte sie sich verpflichtet zu sagen: »Falls Syd auch nur ein Haar gekrümmt wird, werde ich Sie bis zum Ende der Welt jagen.« Vielleicht war es nicht allzu schlau, das zu jemandem zu sagen, der momentan alle Trümpfe in der Hand hielt, aber es war ihr todernst, und das sah man ihr an - selbst wenn es nicht viel nutzte.
»Ob ihr etwas geschieht oder nicht, liegt allein an Ihnen und daran, wie gut Sie schauspielern«, gab Bridget ungerührt zurück.
Schauspielern? Sie sollte schauspielern? Was sollte das denn? Jenner kam sich vor wie Alice im Kaninchenloch und sah sich fragend im Zimmer um, weil sie schon wieder nur Bahnhof verstand. »Ich bin keine Schauspielerin«, sagte sie verdattert. »Sie müssen mich verwechseln.« Das war eine verwegene Annahme, aber Schauspielerinnen waren grundsätzlich dünn und blond, und sie war tatsächlich dünn und zumindest zeitweise blond, weshalb immerhin
die entfernte Möglichkeit bestand. »Ich bin Jenner Redwine. Ich habe noch nie irgendwo mitgespielt!«
»Dann werden Sie das schnell lernen müssen«, sagte Bridget. »Und nein, wir haben Sie nicht verwechselt. Ich wünschte, wir müssten nicht zu diesen Maßnahmen greifen, aber die Umstände erfordern es« - sie zuckte mit den Achseln, als wollte sie sagen: Was soll man da machen? -, »also setzen Sie sich bitte hin, Ms Redwine. Dann werde ich Ihnen erklären, was wir von Ihnen wollen.«
Jenner war klar, dass sie sich nicht weigern konnte, trotzdem befolgte sie den Befehl sichtbar widerwillig und bewies damit sofort, dass sie nicht schauspielern konnte und es nie können würde. Sie setzte sich auf das geschwungene goldene Damastsofa und sah mit trotzig vorgerecktem Kinn und einem glühenden Racheversprechen im Blick zu Bridget auf.
Bridget seufzte. »Zum Glück muss Cael sich damit rumschlagen«, murmelte sie halblaut.
»Was? Wer?«, wollte Jenner sofort wissen, die nur die Hälfte verstanden hatte.
Bridget setzte sich hin, was hundertprozentig gegen alle möglichen Stewardessenregeln verstieß, aber egal, ganz offenbar war diese Frau sowieso keine richtige Stewardess, sondern in eine Entführung verwickelt; wieso also sollte sie sich um Benimmregeln scheren und sich in der Suite eines Gastes nicht hinsetzen? »Erstens«, setzte sie an, »sind mehrere von uns an Bord, und, nein, ich werde Ihnen nicht verraten, wer dazugehört. Sie werden einige davon kennenlernen, aber es gibt noch mehr. Sie werden jede Sekunde beobachtet.«
Raffiniert, dachte Jenner. Sie konnte unmöglich feststellen, ob das stimmte oder nicht, ob sie wirklich beobachtet wurde oder ob Bridget sie nur einschüchtern wollte,
um sie gefügig zu machen. Nachdem Syds Leben auf dem Spiel stand, musste sie davon ausgehen, dass sie die Wahrheit gesagt hatte.
Offenbar konnte man ihr den Zweifel und den Ärger ansehen, denn Bridget seufzte schon wieder. »Denken Sie nicht allzu viel drüber nach. Tun Sie einfach, was ich Ihnen sage.«
»Sicher doch«, bestätigte Jenner sarkastisch. »Schließlich sind Sie ungeheuer vertrauenswürdig.«
Bridgets Lippen spannten sich kaum sichtbar an, doch ihre Stimme blieb ruhig. »Ob ich vertrauenswürdig bin oder nicht, spielt keine Rolle.«
Wirklich interessant, dachte Jenner. Eine Entführerin, der es wichtig war, was ihr Opfer
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