Nachtleben
zwei Schatten gesehen, die aus der Waschküche in den Abstellraum der Marquards geflitzt waren. Mutter hatte versucht, mir auszureden, dass es Ratten gewesen waren, und so getan, als hätte sie mir nicht geglaubt; selbst war sie seitdem aber auch nicht wieder unten gewesen.
»Mach das noch kurz, ja? Der Zug fährt erst in zwei Stunden. Und weißt du, wo Ingrids Haargummis sind?«
»Bei uns im Zimmer.«
»Holst du die kurz?«
»Karin?«, drang eine Stimme von der Straße zu uns in den ersten Stock. Ingrid zuckte zusammen und erstarrte mit aufgerissenen Augen. Wir erkannten Franz sofort. Mutter stöhnte und antwortete nicht.
»Ka-rin!«, rief er lauter, und seine Stimme schnappte in die Küche wie der Fangarm eines Kraken. Mutter schob Ingrid beiseite und trat ans Fenster.
»Was denn?«, fragte sie.
»Komm mal runter.«
»Ich kann jetzt nicht. Ich mache doch heute den Ausflug mit den Kindern. Zu diesem Freizeitpark.«
|311| »Hast du Geld im Haus?«, wollte Franz wissen, und es war keine Frage, sondern eine Aufforderung, die Kohle zügig rauszurücken. »Kriste heute Abend wieder. Ist dringend.«
Mutter starrte genervt in die Höhe. »Das Geld, das ich hier habe, brauche ich für den Ausflug.«
»Bring jetzt erst mal runter, was du hast«, kommandierte Franz.
Mutter reagierte nicht, sondern machte dicke Backen und ließ die Luft langsam entweichen.
»Kaa-riin!«, wiederholte Franz, und Mutter verschränkte die Arme vor der Brust, als würde sie eine Rüstung anlegen. »Mach hin.«
Mutter hielt die Luft an. Es schien, als stemme sie sich mit aller Kraft gegen ihren Widerwillen, aber nur wenige Sekunden später wandte sie sich vom Fenster ab und kramte ihr Portemonnaie aus der Seitentasche des Rucksacks.
»Richard, wir müssen das jetzt doch anders machen. Die Wäsche ist egal. Ich bin gleich wieder oben«, sagte sie und verschwand ins Treppenhaus.
Neugierig schlich ich ans Fenster und lugte hinaus. Auf dem Gehsteig klapperte Franz mit seinem Benzinfeuerzeug herum. Als Mutter aus der Haustür kam, gab er ihr einen flüchtigen Kuss auf die Wange und nahm ihr das Portemonnaie aus der Hand, wie man einem Hund ein apportiertes Stöckchen aus dem Maul nimmt.
Sie strich ihm die Haare aus dem Gesicht. »Hallo, Schöner«, sagte sie.
Franz blätterte die Scheine durch. »Wenigstens etwas.«
»Das ist alles, was ich habe«, sagte Mutter, »und ich muss morgen …«
»Jetzt mach mal nicht gleich wieder so ’ne Thermik«, wurde sie von Franz unterbrochen. »Kriste schon zurück, weißte doch.«
»Und dein Zeug muss auch aus der Wohnung. Ich will das nicht länger hier haben«, sagte Mutter leise. Franz lehnte sich |312| direkt unter unserem Fenster gegen die Hauswand, sah sich um und zog Mutter an sich heran.
»Ich habe da jetzt jemanden, der richtig gutes Geld dafür zahlen will«, wisperte er, sodass ich es gerade noch verstehen konnte. »Das mache ich jetzt klar. In ein paar Tagen hat sich das erledigt, aber bis dahin will ich das lieber woanders haben als bei mir zu Hause. Das ist zu gefährlich. Die Bullen haben mich eh gerade auf dem Kieker.«
Der nächste Satz ging unter im Rattern eines Mofas, das einer der Jungen anzuschmeißen versuchte, aber es soff sofort wieder hustend ab. Die Scheine verschwanden in Franz’ Hosentasche.
»Alles?«, fragte Mutter. »Nee, ein bisschen musst du mir schon hierlassen.«
»Karin, ich habe gerade Stress«, sagte er, »da kann ich keine Rücksicht drauf nehmen, dass du mit den Lütten irgendwohin fahren willst.«
»Lass mir wenigstens einen Fünfziger hier.«
»Das sind doch gerade mal zweihundert«, lachte er.
»Das geht nicht«, sagte Mutter, aber Franz tätschelte ihr nur den Arm und ging.
»Franz, du musst mir ein bisschen was hierlassen«, rief Mutter ihm mit verschränkten Armen hinterher.
Franz blieb stehen und kam die paar Schritte zu ihr zurück. »Sei mal nicht immer so anstrengend«, sagte er und gab ihr einen Kuss auf die Stirn, der mehr ein Wegschubsen war als ein Zeichen von Zuneigung. »Weißt doch, wie du anständig Kohle machen könntest«, murmelte er. »Hast du ’ne Kippe?«
Die Jungs mit den Mofas hatten das Geschehen verfolgt und schielten zu den beiden herüber.
»Was?«, bölkte Franz, als er ihre Blicke bemerkte. »Soll ich mir die Fluppe von euch holen?« Sofort fachsimpelten sie wieder über ihre Mofas.
»’ne Kippe«, wiederholte Franz, an Mutter gerichtet, und drückte seinen Brustkorb gegen ihre Schultern.
|313| »Richard«,
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