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Nachtleben

Nachtleben

Titel: Nachtleben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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anfasse, gab mich kleinlaut, und Flavio plapperte einfach alles nach oder nickte. Nach wenigen Sätzen hörte Herr Wedekind aufmerksam zu.
    »Wir wollten das mit dem Marihuana einfach mal ausprobieren. Wir wussten nicht, dass das so stark ist«, sagte ich, und Flavio spannte seine Muskeln an und ergänzte: »Eigentlich sind wir ja Sportler.«
    Herr Wedekind schob sich die Brille zurecht.
    »Leistungssportler«, behauptete Flavio dann. »Letztes Jahr haben wir beim Iron-Man mitgemacht.«
    Irritiert schielte ich zu ihm hinüber.
    »Kanntet ihr euch schon vor dem Zivildienst?«, fragte Herr Wedekind überrascht.
    »Seit der Grundschule«, hörte ich mich sagen und trat einen Schritt vor, um Flavio abzuwürgen. »In jedem Fall möchte ich mich noch einmal entschuldigen und versprechen, dass so was nicht wieder vorkommen wird.«
    »In Zukunft trainieren wir wieder mehr«, legte Flavio nach, »damit wir beim Iron-Man wieder unter die besten zehn kommen.«
    |79| »Wir müssen jetzt aber auch schon wieder los«, sagte ich und streckte Herrn Wedekind meine Hand entgegen.
    »Freut mich, dass ihr zu mir gekommen seid, Jungs.«
    In seinem Blick war keine Spur von Genugtuung oder Triumph. Eher schien es, als sei er auf eine unschuldige Art fröhlich und zufrieden, als habe er durch unsere Entschuldigung neue Freunde oder zumindest Verbündete gefunden. Anstatt uns beiden Vollidioten die Hölle heißzumachen, glaubte er unser Gefasel und klopfte uns, bevor wir gingen, auch noch kumpelhaft auf die Schulter.
    Unseren ersten Sold investierten wir fast restlos in Gras.
    Von diesem Tag an grüßten wir Herrn Wedekind freundlich, plauderten ab und an mit ihm und wurden zur Vorzeige-WG. Geschirr wurde gespült, wir saugten Staub, wischten regelmäßig das Badezimmer, und gelegentlich putzten wir sogar die Fenster. Damit Herr Wedekind es mitbekam, und um zu verhindern, dass er sich selbst reinließ, luden wir ihn ab und an auf einen Kaffee ein. Die anderen Zivis wussten Bescheid, hielten aber die Klappe, weil sie über uns günstig Gras kaufen konnten. Reich wurden wir damit nicht, aber immerhin war es ein anständiges Zubrot.
     
    Meine Lieblingsbewohner im Altenheim waren Luise und Fietje. Beide waren Anfang achtzig, hatten sich im Heim kennengelernt, und anders als ein großer Teil der Alten, die häufig schon mit ihrem Leben abgeschlossen hatten, waren sie noch gut in Schuss. Jeden Tag begannen sie mit einem ausgiebigen Frühstück und der Tageszeitung. Für Fietje war es Ehrensache, eine Dame nicht warten zu lassen. So war er jeden Morgen ein paar Minuten vor Luise im Speisesaal und hatte dann schon den Lokalteil der Zeitung auf ihren Platz gelegt, während er die Titelseite überflog. Wenn Luise schließlich in den Raum trat, riss er sich manchmal den Arm vor die Augen und rief: »Elmsfeuer? Oder wessen Strahlen raubt mir die Sicht?«
    |80| Sich gehen zu lassen und einen Trainingsanzug überzuziehen kam für beide nicht in Frage. Stattdessen schmiss Luise sich in ihre altmodischen Fummel, und Fietje trimmte seinen weißen Backenbart, der ihm wie ein Stück Stoff im Gesicht klebte, und dieselte sich mit würzigem Parfum ein. Einmal überraschte ich die beiden hinter der Gartenlaube beim Knutschen, und sie kicherten wie Teenager.
    Als ich Fietje das erste Mal begegnete, stand er in seinem Zimmer vor dem Spiegel und machte sich für einen Ausflug in die Innenstadt zurecht, zu dem ich ihn abholen wollte. Er sah mich prüfend an, als ich im Türrahmen stehen blieb.
    »So gekleidet wollen Sie flanieren gehen, junger Mann?«, fragte er und schüttelte halb im Ernst, halb im Spaß den Kopf, während er sich seinen Krawattenknoten festzog. Anschließend begutachtete er sich im Spiegel und knöpfte sein Jackett mit den perlmuttschimmernden Knöpfen zu.
    »Jeder Tag ist Landgang«, erklärte er, eine Kapitänsmütze aufsetzend, aber ich verstand nicht. »Na denn!« Er stolzierte an mir vorbei aus dem Zimmer, und ich sah mein Spiegelbild, wie ich mit einer zerschlissenen Jeans, ausgelatschten Stiefeln und einem viel zu weiten T-Shirt dastand. Bevor ich ihm folgte, steckte ich mir das T-Shirt in die Hose.
    Eine Stunde später zockelten wir mit etwa zwanzig Bewohnern, einigen Pflegern und drei Zivis durch eine Einkaufsstraße. »Gichtparade« nannte Flavio diese Ausflüge. Irgendwann packte Fietje mich am Arm und zog mich zur Seite. »Du bist doch ein ausgeschlafenes Bürschchen, oder?«, fragte er verschwörerisch, aber ich wusste nichts zu

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