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Nachtleben

Nachtleben

Titel: Nachtleben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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befürchtete, dass er als Nächstes irgendeine mitleidige Soße wegen meiner Familie von sich geben würde. »Wenn wir unseren ersten Sold zusammenschmeißen und in Gras investieren, können wir da bestimmt Kohle mit machen, wenn wir das an die anderen Zivis verticken«, sagte ich. »Ich kenne jemanden, bei dem wir billig einkaufen können. Die kiffen doch alle hier.«
    »Können wir ausprobieren«, sagte Flavio. »Müssen wir nur aufpassen, dass Herr Wedekind das nicht mitbekommt.«
    Ich nickte.
    Einen hässlicheren Menschen als Herrn Wedekind, den Hausmeister der Ziviwohnungen, hatte ich noch nicht gesehen. |74| Er hatte ein pausbäckiges, krebsrotes Gesicht, trug eine Brille mit daumendicken Gläsern auf seiner Knollennase, und seine Resthaare kämmte er sich über eine glänzende Platte. Als wäre das nicht genug, hatte er noch eine Hasenscharte, die es ihm unmöglich machte, t, p, k oder ch anständig auszusprechen. Flavios Namen bekam er halbwegs verständlich zustande. Aber wenn er mich ansprach, und er ließ sich nicht davon abbringen, »Richard« anstelle von »Rick« zu sagen, klang es, als bliebe mein Name weit hinten in seinem Rachen stecken. Im Mittelalter hätte man nicht lange gefackelt, ihm einen Findling um den Hals gebunden und ihn im Dorfteich versenkt.
    »Alter, der hat Zweitschlüssel zu jeder Wohnung«, sagte Flavio. »In den sechs Wochen, die ich jetzt hier bin, hatte ich noch keinen Ärger mit ihm, aber der schnüffelt angeblich regelmäßig in den Wohnungen rum, durchsucht die Zimmer und so.«
    Ich schenkte mir ein Glas Cola ein. »Müssen wir halt aufpassen«, sagte ich. »Aber wenn wir keinen Stress machen, könnten wir mit dem Gras echt Geld verdienen.«
    »Können wir ausprobieren«, sagte Flavio und gab mir den Joint zurück. Als ich gerade daran ziehen wollte, klopfte er mit den Knöcheln auf den Tisch und sagte: »Was anderes noch mal. Ey, du feierst Weihnachten dieses Jahr bei uns. Das geht nicht, dass du hier alleine rumsitzt, Alter.«
    Für einen Moment sah ich ihn überrascht an. Innerhalb von Sekunden zog sich meine Kehle wieder zusammen, es brannte erneut in meinem Magen, und das Zwerchfell verkrampfte. Einen Hustenanfall vortäuschend, verschwand ich auf dem Klo.
     
    Als ich zurückkam, hoffte ich, dass Flavio meine geröteten Augen auf das Kiffen schieben würde. Ich war noch im Flur, da hörte ich im Vorbeigehen, wie sich ein Schlüssel knirschend ins Schloss der Wohnungstür schob. Flavio sprang von seinem |75| Stuhl auf und erstarrte wie die Maus Jerry, wenn Kater Tom mit einer Axt um die Ecke biegt.
    »Herr Wedekind«, flüsterte er, steckte hastig das Tütchen Gras ein, das auf dem Küchentisch lag, riss das Fenster auf und warf den Joint raus in die Nacht. Bekifft, wie ich war, musste ich grinsen, als er sich dann ein Tablett schnappte und den Qualm hinausfächelte, der in dichten Schwaden im Raum stand. Genauso gut hätte er versuchen können, ihn hinauszupusten.
    Hinter mir öffnete sich die Tür, und Herr Wedekind betrat die Wohnung. Noch bevor er überhaupt etwas gerochen oder gesehen haben konnte, sagte er streng: »Richard!«
    Als ich seine entstellte Stimme hörte, musste ich kichern. Uns den Rücken zugewandt, stand Flavio am geöffneten Fenster, hatte sich das Tablett wie eine Tageszeitung unter den Arm geklemmt und atmete tief ein und aus.
    »Richard!«, wiederholte Herr Wedekind, doch ich reagierte nicht, sondern stellte mich neben Flavio.
    »Herrlich«, sagte der, als würde er aus einem frisch bezogenen Urlaubszimmer schauen. Draußen war es stockfinster, und selbst am Tag gab es nicht mehr zu sehen als einen ungepflasterten Parkplatz mit Altglas- und Kleidercontainern. Mein Oberkörper zitterte vor unterdrücktem Lachen. Kühle Luft wehte herein, und ich versuchte, mich auf den Wind auf meiner Haut zu konzentrieren, um nicht loszuprusten.
    »Wonach riecht’s hier, Richard?«, fragte Herr Wedekind. Ch-Laute waren nicht seine Welt. Ein paar Tage zuvor hatten Flavio und ich einige bekiffte Stunden damit zugebracht, uns Sätze mit möglichst vielen Chs auszudenken, um sie uns anschließend bei den unpassendsten Gelegenheiten vorzunuscheln. Jetzt schwiegen wir, noch immer mit dem Rücken zu Herrn Wedekind, und kämpften gegen unser Gelächter an, während er in die Küche kam.
    »Wonach riecht’s hier?«, wiederholte er seine Frage lauter, ohne dass sie dabei deutlicher wurde. Dann hörte ich, dass er |76| den Aschenbecher und den Tabakbeutel auf dem

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