Nachtleben
erste Mal sah, stand ich an einem Dienstagabend aushilfsweise an der Tür eines neuen Clubs, der an den Wochenenden schon anständig lief, unter der Woche aber eher schlecht besucht war. Vom dem Moment an, als sie den Laden betrat, war ich wie elektrisiert. Sie schien statisch aufgeladen wie der Bildschirm eines Fernsehers. Und wie auf einer langweiligen Wohnungsparty, wo die Glotze eingeschaltet wird und man draufstarrt, egal was läuft, musste ich Pia angaffen. Sie war blond und zierlich mit einem Gesicht wie aus Stuck, so zerbrechlich, dass ich sie sofort vor was auch immer beschützen wollte. Erst flachlegen und dann beschützen. Wenn sie ging, wackelte sie ganz merkwürdig mit dem Hintern. Ihre Schultern bewegten sich rhythmisch auf und ab, und diese Bewegung zog sich durch ihren Körper bis in die Arschbacken.
An dem besagten Abend war schnell klar gewesen, dass es nicht voll werden würde, daher lehnte ich an der Theke, von wo aus ich die Tür im Blick hatte. Durch das Pumpen der elektronischen Musik hindurch unterhielt ich mich mit der Bedienung. Nebenbei schielte ich immer wieder zu Pia, die mit ihren Freundinnen in einem der Separees saß, die zur Tanzfläche hin geöffnet waren. In unregelmäßigen Abständen kam eine von ihnen nach vorn, um Bier und Schnäpse zu holen. Schließlich war Pia an der Reihe. Obwohl die Theke leer war, sich über knapp drei Meter durch den Raum zog und die Bedienung am anderen Ende rumwerkelte, stellte Pia sich neben mich, sodass unsere Arme nur wenige Zentimeter voneinander entfernt waren. Es kribbelte auf meiner Haut.
|102| Als die Bedienung kam, stützte Pia sich auf dem Tresen ab und stemmte sich hoch, sodass ihre Beine über dem Boden baumelten. Ich konnte nicht anders, als ihr auf den Hintern zu starren. Auf der rechten Backe prangte ein Herzchen-Aufnäher, wie man ihn auf die Knie von zerlöcherten Kinderhosen näht.
»Machst du uns noch vier Bier und vier Tequila-Gold mit Zimt und Orange?« Die Bedienung nickte und sammelte die Zutaten zusammen. Pia hing unverändert auf dem Tresen, und ich lehnte mich mit der Schulter zu ihr hinüber, ohne sie anzusehen.
»Na, Großer?«, sagte sie. Als ich mich zu ihr umdrehte, rutschte sie von der Theke und sah mich funkelnd an. Sie war drei Köpfe kleiner als ich. Dann stellte sie sich auf die Zehenspitzen, stützte sich mit der einen Hand an meinem Brustkorb ab, hielt mir mit dem Daumen der anderen das Ohr zu und kam mit ihrem Mund dicht an das zugehaltene Ohr, sodass ich ihre Stimme gedämpft hörte.
»Was ist der Unterschied zwischen Ficken und Blasen?«, fragte sie, ließ mich los und wippte vom Hacken auf den Ballen. In Vorfreude auf die Pointe lachte sie mich an. Ihre Zähne waren winzig wie Milchzähne. Als ich nichts sagte, hielt sie mir wieder das Ohr zu und kam noch dichter an mich heran. »Schon mal Ficken an den Füßen gehabt?«
Nachdem ich sie knapp zwei Stunden lang beobachtet hatte, hatte ich etwas anderes erwartet als einen derart armseligen Witz. Schlagartig war das Kribbeln verschwunden, und in der verspiegelten Wand hinter der Theke sah ich das dumme Gesicht, das ich zog.
»Das ist mit Abstand der beknackteste Witz, den ich seit langem gehört habe«, sagte ich und griff nach meinem Getränk. Pia schmunzelte, boxte mir gegen den Brustkorb und sagte: »Test bestanden, Großer.«
Damit nahm sie das Tablett mit den Bieren und Schnäpsen, das die Bedienung soeben hingestellt hatte, und balancierte es |103| arschwackelnd zurück an den Tisch ihrer Freundinnen. Von einer Sekunde auf die andere stand ich wieder unter Strom.
Gelegentlich schauten Leute herein, aber Pia und ihre Freundinnen blieben die einzigen dauerhaften Gäste. Gerd, der Betreiber des Ladens, war den Abend hindurch ab und an aus dem Hinterzimmer gekommen, hatte seinen Blick durch den leeren Laden wandern lassen und war grummelnd wieder verschwunden. Kurz nach zwei kam er zu mir.
»Rick? Hol mal die vier Grazien da hinten an die Theke. Die bekommen noch ein Getränk ausgegeben, und dann machen wir den Laden dicht für heute. Schließ schon mal die Tür ab.«
Betont lässig spazierte ich daraufhin zur Tür, schlurfte weiter zum DJ, um ihm zu sagen, dass er die Musik leiser drehen solle, und baute mich schließlich vor Pia und ihren Freundinnen auf. Noch bevor ich etwas sagen konnte, lehnte Pia sich weit vor, und ich konnte sehen, dass sie schon gut einen im Kahn hatte.
»Hier«, sagte sie und deutete mit dem Finger auf mich. Ihre
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