Nachtleben
das Schlimmste, was mir je passiert ist.«
Ihre Stimme blieb dumpf unter der Decke, und ich war mir nicht sicher, ob sie es ernst oder im Scherz meinte.
»Ey!«, sagte Flavio. »Rick? Ich habe keine Ahnung, wo ich bin.«
»Ich dachte, du heißt Michael Schmidt«, sagte die Frau. Ich war weder in der Lage zu antworten noch mich zu bewegen |208| und zum Telefon zu gehen, um abzuheben. Meine Hand lag über meinen Augen, und mein Schädel fühlte sich an, als schaukelte Quecksilber in ihm hin und her.
»Rick, kannst du mich abholen?«
Die Frau schlug die Decke beiseite, und erst als sie sich aufsetzte, wurde mir wirklich bewusst, dass wir nackt waren. Ohne die Erinnerung daran, was wir vor einigen Stunden getrieben hatten, fühlte es sich seltsam an, aber ihr war es offenbar egal.
»Wo sollst du ihn denn abholen?«, fragte sie.
»Keine Ahnung, wo der wieder ist.«
»Rick, ich glaube, ich bin in ’ner fremden Stadt.« Flavio atmete schwer. »Ich habe das hier alles noch nie in meinem Leben gesehen. Ey, und außerdem habe ich kein Geld für’n Taxi, weil mein blödes Portemonnaie irgendwie weg ist. Komm mal rum, ja? Ciao!«
Mein Anrufbeantworter fiepte.
»Und jetzt?«, fragte die Frau.
»Wenn Flavio so auf Sendung ist wie jetzt gerade, blickt der so was nicht. Selbst wenn ich wüsste, wo er ist, könnte ich ihn nicht abholen. Ich habe überhaupt kein Auto.«
»Flavio?«, fragte sie. »Gestern hat er gesagt, dass er Maurizio heißt.«
Einen Moment lang sahen wir uns stumm an. Dann beeindruckte sie mich damit, dass sie neben das Bett langte, einen Schluck aus der angebrochenen Flasche nahm und sie mir anschließend hinhielt. Ich schüttelte den Kopf. Das Telefon klingelte erneut.
»Rick?«, hörte ich Flavio schließlich wieder. »Habe noch was vergessen. Pass auf: Die Freundin von der Alten hat mich gestern total beknackt abserviert. Erst ist sie diejenige, die mit dem Geknutsche anfängt, einen Gin Tonic nach dem anderen bestellt, an mir rumfingert wie nichts Gutes, und auf einmal sagt sie, ich wäre ihr zu betrunken«, er zog die Nase hoch. »Die spinnen doch alle, die Frutten.«
|209| »Meike geht nie mit irgendwelchen Typen einfach so nach Hause«, sagte die Frau neben mir.
»Rick? Jetzt nicht lachen«, hörte ich Flavio. »Ich weiß nicht, ob das vom Speed kommt, aber ich habe gerade echt so’n bisschen Angst.« Ich rieb mir über die Glatze, und die Stoppeln knirschten. »Und mir ist kalt.« Ich stöhnte genervt. »Und Kippen habe ich auch keine mehr.« Schließlich kroch ich fluchend aus dem Bett, schlurfte in den Flur und nahm den Hörer ab. Der Anrufbeantworter schaltete sich samt Lautsprecher mit einem Pfeifen aus.
»Flavio?«
»Rick! O Mann. Du musst mich hier abholen!«
»Flavio, ich habe kein Auto, denk mal nach. Außerdem weiß ich auch nicht, wo du bist.«
Stille.
»Stimmt«, flüsterte er. »Ist diese Anna noch bei dir?«
»Anna?«, wiederholte ich. Im Glauben, ich hätte sie angesprochen, fragte Anna: »Ja?«
Ich war erleichtert, zumindest ihren Namen zu kennen.
»Nee, schon gut«, sagte ich an sie gerichtet. »Flavio, wie sieht das denn da aus, wo du bist?«
»Ist sie komplett rasiert?«
»Ja, ist sie. Wie sieht das da aus?«
»Ey, dann bekommst du jetzt einen Kasten Bier von mir oder was?«
»Mir egal. Guck mal nach Straßenschildern.«
»Is’ dir echt egal?«
»Ja.«
»Schwörst du?«
»Mann, Flavio, nerv nicht«, sagte ich. »Ja, ist mir egal. Ich schwöre. Guck nach Schildern.«
Wieder Stille.
»Das ist hier ein Industriegebiet oder so«, stammelte er.
»Was sind da für Firmen?«
»Ich bin hier bei so ’nem Supermarkt.«
|210| »Guck mal nach was Besonderem. Irgendwas Ungewöhnliches, vielleicht komme ich ja drauf.«
»Da hinten ist, glaube ich, ’ne Hüpfburg.«
Anna steckte sich eine Zigarette an. »Soll ich mal Meike anrufen?«, fragte sie. »Die weiß vielleicht, wo sie ihn stehen lassen hat.«
»Ey, die ist ja doch noch bei dir«, sagte Flavio.
»Flavio, weißt du, in welchen Laden du mit Annas Freundin gegangen bist?«, wollte ich wissen, aber er schnaufte nur.
»Pfff! Ey, ich weiß nicht mal, wo ich jetzt bin, woher soll ich wissen, wo ich vor ein paar Stunden gewesen bin?«, sagte er. Für einen Moment klang es tatsächlich wie eine vernünftige Antwort. Anna huschte an mir vorbei ins Wohnzimmer, setzte sich aufs Sofa und kramte in ihrer Handtasche.
»Flavio, konzentrier dich mal.«
»Ey, ihre Freundin hat echt zu mir gesagt, ich wäre zu
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