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Nachtleben

Nachtleben

Titel: Nachtleben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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verschwanden.
    »Wir begleiten unsere Kunden gerne bei Probefahrten«, sagte er.
    »So?«, fragte Anna in pikiertem Tonfall. »Ich finde es immer wünschenswert, eine Geschäftsbeziehung mit einem Mindestmaß von Vertrauen zu beginnen.«
    »Natürlich vertrauen wir Ihnen«, sagte der Verkäufer, seine Hände knetend.
    »Dann würde ich Sie jetzt um den Schlüssel bitten«, sagte Anna, »oder holen wir uns den besser von Ihrem Vorgesetzten ab? Meinen Ausweis können Sie als Pfand haben.«
    |216| Sein Blick zuckte zwischen Anna und mir hin und her. »Selbstverständlich«, sagte er und machte sich auf, um den Schlüssel zu holen.
    Ich setzte mich auf den Beifahrersitz, und wir schauten ihm schweigend hinterher. Als er nicht mehr zu sehen war, lachte Flavio laut los und schlug mehrmals gegen die Kopfstütze des Fahrersitzes.
    »Du hast ja ’ne Vollmacke!«, sagte er begeistert zu Anna, die sich im Rückspiegel die Haare zurechtzupfte und mir zuzwinkerte.
     
    Wenig später waren wir auf einer der Stadtautobahnen, und Anna gab bei runtergekurbelten Fenstern und aufgedrehtem Radio Gas.
    »Der liegt auf der Straße wie ein Brett, merkt ihr das?«, fragte sie. Flavio tippte mir auf die Schulter, und als ich mich zu ihm umdrehte, platzierte er sich so, dass Anna ihn nicht im Rückspiegel sehen konnte.
    »Ist schon ziemlich geil«, sagte er so, dass es wie eine Antwort auf ihre Frage klang, sah mir dabei aber eindringlich in die Augen und nickte in ihre Richtung. »Ziemlich geil«, wiederholte er.
    »Ja, ist schon okay«, sagte ich.
    »Okay?«, wiederholte Anna in der Annahme, wir sprächen über das Auto. »Du hast echt keine Ahnung.«
    »Das erzähle ich ihm ständig«, sagte Flavio und sah mich unverändert an. »Der merkt einfach nicht, wenn was richtig gut ist. Das muss man dem immer dreimal erklären.«
    »Na ja, ich find’s schon gut«, antwortete ich. »Aber muss ich halt nicht jeden Tag haben. Nicht auf Dauer.«
    »Sondern?«, fragte Anna.
    »Genau: Sondern?«, wiederholte Flavio. »Manchmal musst du dich eben entscheiden. Entweder ganz oder gar nicht, und bei so ’nem Geschoss würde ich echt nicht zweimal nachdenken, wenn ich wüsste, dass ich’s haben könnte.«
    |217| Dabei riss er die Augen auf, aber ich wandte mich von ihm ab, gaffte auf die vorbeifliegende Straße und sagte abwesend: »Ach, nee.«
    »Wenn du wüsstest, dass du es haben könntest, müsstest du drüber nachdenken, ob du es willst?«, fragte Anna ungläubig. »Das wäre echt dumm.«
    »To-tal be-knackt wäre das«, bestätigte Flavio.
    »Dann würde ich es doch auf jeden Fall erst mal ausprobieren«, sagte Anna.
    »Genau«, setzte Flavio nach. »Immer erst mal ausprobieren. Wenn der erste Eindruck schon so geil ist. Meinen Segen hätteste. Ich bin schwer begeistert.«
    »Ja, mal sehen.«
    Anna sah mich an. »Wie? Mal sehen? Jetzt erzähl mir nicht, einer von euch hätte das Geld, um sich so ein Auto zu kaufen.«
    Wir sagten nichts.
    »Hallo?«, fragte sie und kurbelte am Lenkrad, sodass wir im Wagen hin- und herschaukelten. »Aufwachen!«
    Annas Haare wehten im Wind, und die Sonne schien durch das geöffnete Schiebedach, während wir mit knapp zweihundert Sachen über die Autobahn bretterten, und ich fühlte mich sicher.
    »Bei so einer Spritztour mit Michi Schmidt und seinem Kumpel Maurizio rechne ich ja mit allem«, sagte sie und schlug mir mit der flachen Hand auf den Oberschenkel, dass es knallte.
    »Hat Rick dir von sich aus erzählt, wie wir wirklich heißen?«, fragte Flavio.
    Anna sah mich an, und als sich unsere Blicke trafen, fühlte es sich an, als entdecke man unerwartet einen Bekannten in einer Menschenmenge.
    »Ja,« sagte sie. »Hat er mir von sich aus erzählt.«
    Meinen Kopf weit in den Nacken gelegt, sah ich die Stahlseile einer Brücke über uns entlangrauschen und einzelne |218| Wolken, die am glasklaren Himmel standen. Anna kniff mir zärtlich ins Knie.
    »Vollgas!«, johlte Flavio und streckte seinen Kopf aus dem Seitenfenster. Wir beschleunigten. Ich schloss die Augen und sank ein wenig tiefer in den Sitz, roch den Neuwagen, streckte meinen Arm aus dem Fenster, spürte den Fahrtwind und spreizte die Finger. Aus den Boxen dröhnte ein Siebzigerjahre-Rocksong, und als ich mich umsah, hing Flavio bis zur Hüfte aus dem Fenster und schrie gegen den Wind an. Ein Rentner, den wir überholten, schüttelte den Kopf. Auf einer Brücke standen winkende Kinder.
    Nach einer Weile drehte ich das Radio leiser.
    »Lass mal nach Hause.

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