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Nachtmahl im Paradies

Nachtmahl im Paradies

Titel: Nachtmahl im Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bennett Ben
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klugen und etwas melancholischen Mann in einem altmodischen schwarzen Mantel. Jemanden, der nicht unnötig viel quatschte. Mit einem solchen Engel könnte es möglicherweise klappen mit einer Geschäftspartnerschaft.
    »In einer Stunde zum Mittagessen im Paris ?«, schlug Gustave vor. »Fahr ruhig schon mal vor, ich komme gleich nach.« Damit meinte er, sobald seine Auszubildende ankäme, denn ohne sie wäre das Büro verwaist.
    Etwa auf halber Strecke auf dem Rückweg zum Paris überholte Jacques auf der Landstraße einen alten Bekannten: Yves Taillevent. Der Legende nach musste dieser bereits hundert Jahre alt sein, und noch immer fuhr er auf seinem klapprigen, rostigen Fahrrad übers Land. Es hieß, er habe Philosophie an der Sorbonne studiert und sei in den sechziger Jahren einer der führenden Denker Frankreichs gewesen. Einige Leute hier glaubten sogar, er habe dem Beraterstab von Charles de Gaulle angehört. Wie auch immer: Als Jacques vor Jahrzehnten hierhergekommen war, um zusammen mit seiner Elli eine Bretterbude am Strand in ein Sternerestaurant zu verwandeln, war Yves bereits hier gewesen. Schon damals, obgleich deutlich jünger, war er den lieben langen Tag auf seinem rostigen Fahrrad durch die Gegend gefahren, immer einen klugen Spruch auf den Lippen.
    »Wie sind denn die Wetteraussichten für heute?«, rief Jacques Yves durch das halb offene Seitenfenster zu, während er langsam an ihm vorbeifuhr.
    » Oh, là, là «, erwiderte der Alte, während er Mühe hatte, sein Fahrrad halbwegs in der Spur und damit auf der Straße zu halten, ohne so wie Jacques auf dem Hinweg im nächstbesten Feld zu landen.
    Normalerweise fuhr Yves immer in der Mitte der Straße. Platz machte er nur für Autos, die ihm bereits fünf Minuten oder länger hinterherschlichen, ohne zu hupen – für wahre Gentlemen, wie er sie zu bezeichnen pflegte. Oder für edle Fahrzeuge, die er bereits am Geräusch ihres Motors erkannte. So wie Jacques’ goldene DS .
    »Ein Unwetter zieht auf. Vom Meer her. Sieh nur«, ergänzte Yves. Für eine Sekunde nahm er seine knochige rechte Hand vom Lenker und wies in Richtung Paris , wo wohl auch er hinwollte. Obwohl er nicht über Geld verfügte, war er aufgrund seiner guten Manieren überall recht beliebt und trank seinen spätmorgendlichen Kaffee in nahezu jedem Etablissement, das er mit seinem Fahrrad erreichen konnte. Kostenlos. Spätmorgendlich hieß für alle anderen, abgesehen von Jacques: mittags. Aber so etwas wie einen Wecker kannte Yves nicht – und hatte es nie kennengelernt. Nicht einmal zu Zeiten von Charles de Gaulle, wie er oft beiläufig bemerkte.
    »Beeil dich, sonst wirst du noch nass!«, schrie er und umfasste den nahezu führerlos gewordenen Lenker wieder mit beiden Händen, bevor er stürzen und ein unglückliches Ende finden konnte.
    Jacques schmunzelte und für einen Moment fühlte er sich besser. Der Himmel über dem Paris war in ein wolkenloses rosiges Blau getaucht, und im Gegensatz zu Yves saß er nicht auf einem wackligen Fahrradsattel im Freien. Ein Unwetter! Doch der Alte lebte in seiner eigenen Welt. Er schien glücklich, obwohl er nichts, aber auch rein gar nichts hatte, das ihm gehörte oder das zu ihm gehörte – mal abgesehen von seinem Fahrrad. Manchmal wünschte Jacques sich, er könnte ein bisschen so sein wie Yves. Aber er vermochte es nicht. Er war zu gierig. Er glaubte noch immer wie ein trotziger kleiner Junge daran, dass das Leben ihm etwas schuldete: Glück und Liebe.
    Als Jacques wenig später in den kleinen Sandweg einbog, der hinunter zum Meer und zu seinem Restaurant führte, erkannte er plötzlich die Weisheit des alten Mannes, den er eben getroffen hatte. Möglicherweise würde tatsächlich ein Unwetter aufziehen. Möglicherweise tobte es bereits – und zwar mitten im Paris ! Er war nur noch wenige hundert Meter von dem Lokal entfernt, und auf dem Parkplatz entdeckte er den schwarzen Range Rover, mit dem er auf dem Hinweg beinahe kollidiert wäre. Ganz klar: Es war ihre Schuld gewesen! Gut, er hatte sich einen Moment lang im Rückspiegel gemustert und die Fahrbahn nicht im Auge behalten – aber sie, wo war sie gewesen? Hinter dem Steuer ihres Ackergauls jedenfalls nicht, höchstens ihre Hände konnten sich dort befunden haben!
    Beim Aussteigen atmete Jacques noch einmal tief durch und sog die klare, würzige Meeresluft in seine Lungenflügel. Einen Moment lang fiel sein Blick hinaus auf den Atlantik, der sich weit in den Ärmelkanal

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