Nachtmahl im Paradies
genug, dass sie die kleinen charmanten Witzchen kapieren würde, für die er berühmt war – oder vielmehr gewesen war, damals, als das Paris noch das Paradies gewesen war. Über das Wetter würden sie sich nicht lange unterhalten können, denn in der Normandie war es, abgesehen vom Hochsommer, immer feucht, und noch dazu regnete es ohne Unterlass. New York. Das könnte ein Ansatz sein, schließlich kam sie von dort. Ja, das war es! Wahrscheinlich würde sie ohnehin pausenlos reden. Sie war eine dieser Frauen, die Sex and the City vergötterten, diese geschmacklose amerikanische Serie, so viel war sicher. Gut, das war ein Anhaltspunkt.
Ein paar Stunden blieben Jacques noch, um sich über das Internet über die Hauptdarstellerinnen der Serie zu informieren und über den neuesten Tratsch in ihrem Privatleben, der »versehentlich« in der Yellow Press gelandet war. Tantrisches Fliegen im Yoga-Kurs, erstes Baby mit fünfundvierzig und Ashton Kutcher oder wie der Typ hieß. Damit würden sie die erste Stunde totschlagen. Wenn sie bis dahin einen halbwegs ordentlichen Pegel erreicht hatten, lief der Rest garantiert von alleine. Er würde sich bei Catherine ganz förmlich entschuldigen, ohne wirklich die Hosen herunterzulassen, und danach würde er sie zurück in ihr Hotel fahren. Am nächsten Tag würden sie dann bei Gustave die Details verhandeln, damit dieser die Papiere vorbereiten konnte. »Friedliche Übernahme« nannte man so etwas. Aber hatte er eine Wahl?
Gustave sagte nein, und im Grunde war es Jacques ebenfalls so klar wie die einst berühmte Kloßbrühe seines Restaurants. Oder war es die Ochsenschwanzsuppe gewesen? Wie auch immer, es war an der Zeit aufzuwachen. An der Zeit, erwachsen zu werden und seinen verstorbenen, aber dennoch nicht totzukriegenden Träumen ein für alle Mal adieu zu sagen. Von einem Mann, der beinahe fünf Jahrzehnte auf dieser Erde verbracht hatte, konnte man das erwarten – dass er endlich erwachsen wurde und sich der Realität da draußen stellte. Auch wenn er selbst noch nicht dazu bereit war und es vermutlich nie sein würde.
»Das war’s dann, Elli«, seufzte Jacques.
Er lehnte sich an das Gitter aus Metall, das einzige Hindernis, das ihn vom freien – möglicherweise erlösenden – Fall hinunter in den Vorgarten des Paris trennte. Schwer seufzend zündete er sich eine Gitane an und blickte im Dunst des Zigarettenrauchs hinaus in den windigen, blau leuchtenden Tag, der ihn und sein trauriges Leben mit seiner allzu lieblichen Sommerstimmung zu verspotten schien.
»Regen! Ich will Regen!«, schrie er den Himmel an. »Wir sind hier in der gottverdammten Normandie!«
Unten klingelte das Telefon. Jacques gehörte der wahrscheinlich schon bald vergessenen Generation an, die noch über einen Festnetzanschluss verfügte und ohne iPhone leben konnte. Eilig löschte er die Zigarette, ohne sie zu Ende geraucht zu haben, und stieg die Leiter hinab in die richtige Welt – auch Realität genannt. Jene Welt, die der Keller seiner eigenen Welt war, die aus den goldenen Träumen der Vergangenheit erbaut war und täglich hier oben auf dem Piratenmast für einige Minuten ein Comeback erlebte. Ein Comeback, das so unwiderstehlich süß war wie die karamellisierten Walderdbeeren, die er eben noch auf der Zunge gespürt hatte. Und so unendlich traurig wie das leere Schälchen, das nach dem wirklich allerletzten sehnsüchtigen Löffelchen Mousse in die Geschirrspülmaschine gewandert war.
Es war Gustave. Er hatte mit seiner Klientin telefoniert und meldete sich nun zurück, um Jacques genauere Instruktionen für den Abend zu geben.
»Erstens: Catherine hat zugesagt! Danke deinem Schutzengel, Jacques. Nach deinem Auftritt heute Mittag habe ich ehrlich gesagt fast schon damit gerechnet, dass sie den nächsten Flieger zurück in die Staaten nimmt oder sich anderswo nach einem passenden Objekt umsieht.«
»Und zweitens?«, lenkte Jacques das Gespräch von seinem Fehlverhalten ab, das seiner Meinung nach hinreichend diskutiert worden war.
»Zweitens, sie möchte, dass du dich heute Abend so richtig herausputzt! Sie will mit dir auf eine kulinarische Entdeckungsreise gehen, hat sie gesagt. Und sie hat darauf bestanden, dass sie das Restaurant aussucht! Ich soll dir von ihr lediglich ausrichten, du möchtest dich in Schale werfen. Zieh am besten deinen dunkelblauen Anzug an, weißes Hemd und Krawatte, dazu die Budapester und …«
»Hast du ihr etwa erzählt, was in meinem Kleiderschrank
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