Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nachtmahl im Paradies

Nachtmahl im Paradies

Titel: Nachtmahl im Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bennett Ben
Vom Netzwerk:
Aber noch immer verwandelte allein der Gedanke an diese liebliche Frucht ihn in einen willenlosen Pawlow’schen Hund, in dessen Hirn sich, einem unwiderstehlichen Reflex folgend, der immer gleiche Film abspielte. Ein Film, in dem das bezauberndste Wesen, das je auf dieser Welt gelebt hatte, die Hauptrolle spielte. Für immer an seiner Seite. Bis dass der Tod euch scheidet.
    Nachdem Jacques gegessen hatte, stieg er die Holzleiter hinauf zum Dachboden. Er durchquerte den langgestreckten, nur spärlich durch ein winziges Fenster im Dachstuhl beleuchteten, nach dem Staub längst vergangener Zeiten duftenden Raum und gelangte schließlich zu der Luke im Dach, die hinaus auf den Piratenmast führte. Ein-, zweimal am Tag saß er hier und betrachtete den Himmel, die Erde, das Meer – und Pferd und Esel. Die beiden ahnten gar nicht, welches Glück sie hatten, dass sie dort unten zusammen auf ihrer moosgrünen Wiese ein unbeschwertes Leben zu zweit genießen und sich gegenseitig Tag und Nacht frei von Sorgen beschnuppern durften. Obwohl sie ein ungleiches, von der Natur eigentlich nicht vorhergesehenes Paar waren, passten sie so gut zusammen. Sie verstanden sich prächtig – trotz des Sprachfehlers, den der kleine Esel hatte.
    »I-i-i-i«, krächzte er wieder und wieder mit seiner bei jeder Wiederholung desselben Buchstabens einen Deut verzweifelter klingenden Eselstimme, woraufhin ihn das Pferd, das etwa einen Kopf größer war als er, zuerst liebevoll musterte, um ihn dann zärtlich mit der Nase anzustupsen.
    »A?«, schien es das fehlende Puzzleteil ergänzen zu wollen, doch es brachte nur ein helles Wiehern hervor, das eher nach einem aufgemotzten Echo des gestotterten Is klang statt nach einem echten A. Vielleicht ritt das Pferd auch nur deshalb nicht auf der sprachlichen Unvollkommenheit des Esels herum, weil es selbst kein A herausbrachte? Aber Jacques hatte eher den Eindruck, dass es echte Liebe war, was die beiden dort unten auf der Wiese hinter dem Paris verband.
    Er fragte sich, ob es eine gute Idee war, mit Catherine essen zu gehen. In Trouville, dem eigentlich hübscheren und weniger überdrehten Städtchen unter den beiden schönen Schwestern, waren keine kulinarischen Sensationen zu erwarten. Und auch im benachbarten Deauville fielen ihm auf Anhieb höchstens drei Restaurants ein, die überhaupt in Frage kämen – nachdem er sich vor mehr als einem Jahr mit dem Koch der Nummer vier, dem einzigen Lokal, das verdientermaßen noch einen Michelin-Stern besaß, auf dem Gemüsemarkt überworfen hatte. Zum einen das Chagall , das seinen Stern genau wie er vor einigen Jahren wieder hatte abgeben müssen und das Paris nicht allzu schlecht aussehen lassen würde, wenn man den aktuellen Kritiken Glauben schenken durfte. Zum anderen das L’Essentiel in der Rue Mirabeau, in dem Charles und Mira Thuillant den Kochlöffel und das Zepter schwangen. Die beiden konnten zwar bisher mit keinem Stern aufwarten, hätten ihn aber mehr als verdient und waren erst kürzlich vom Gault et Millau als »Newcomer des Jahres« ausgezeichnet worden. Sowie schließlich und endlich – sollte er wirklich Gustaves Vorschlag aufgreifen und einen Italiener wählen – das Il Parasole , die beste Pizzeria der Normandie, wie die Kunde ging.
    Jacques tendierte zunächst zum Chagall , doch dann sagte ihm der kleine Mann in seinem Kopf, dass es negativ auf ihn zurückfallen könnte, wenn er die Amerikanerin in ein Restaurant einlud, das seine besten Tage hinter sich hatte. Ein Restaurant wiederum, dessen Küche spürbar besser war als die des Paris , würde ihn mit jedem Gang, der mit der flammenden Leidenschaft eines noch jungen, aufstrebenden Etablissements auf den Tisch gezaubert wurde, vor ihren Augen beschämen und darüber hinaus die Messlatte künftig umso höher legen. Demnach war der Italiener wahrscheinlich in der Tat eine glänzende Idee, auch wenn sie von Gustave stammte und möglicherweise nicht ganz ernstgemeint war. Italien war neutraler Grund und Boden. So wie ihn zwei Kriegsparteien wählen würden, die ihr Pulver verschossen hatten: erschöpft und bereit, Friedensverhandlungen zu führen.
    Die Wahl des richtigen Restaurants aber war noch das kleinste Problem, mit dem Jacques sich beschäftigen musste. Seine größere Sorge war die Agenda. Über was sollte er sich mit dieser impertinen … nein, er musste umdenken, mit dieser interessanten Person von der anderen Seite des großen Teichs unterhalten? Ihr Französisch war nicht gut

Weitere Kostenlose Bücher