Nachtmahl im Paradies
dem Augenwinkel zu. »Aber Sie sind eine schlechte Lügner, Jacques«, ergänzte sie lächelnd. »Sobald ich hier mehr bin, werde ich eine Intensivsprachkurs machen.«
»Oh nein, ich bitte Sie, Catherine! Sie sprechen fabelhaft! Noch ein paar Vokabeln, und man kann Sie von einer Einheimischen nicht mehr unterscheiden!« Jacques erkannte sich selbst nicht wieder. Irgendetwas in ihm wollte partout die wunderbare Freundlichkeit spiegeln, die ihm so unerwartet entgegenflog. Obwohl ihm klar war, dass sein übertriebener Charme auf dem besten Weg war, einfach nur peinlich zu sein.
»Noch eine kleine Stückchen«, dirigierte sie ihn unbeeindruckt von seinen Schmeicheleien. » Voilà! Hier wir sind richtig!« Sie hatten Touques erreicht, eine idyllische kleine Nachbargemeinde, wenige Kilometer landeinwärts.
Warum nicht?, war Jacques’ erster Gedanke, erleichtert, dass sie ihn nicht bis nach Paris hetzte. Hier gab es durchaus einige nette Brasserien und Bistros.
»Das ist es«, sagte Catherine und wies mit dem Zeigefinger hinaus auf die Straße.
Das konnte sie nicht ernst meinen.
Sie hielten direkt vor einer restauration rapide, einem Schnellrestaurant, an dessen Front unübersehbar das gelbe »M« prangte. Die goldenen Bögen des Glücks.
»Ist das ein McDonald’s?«
Jacques wusste nicht, warum er ihr diese Frage stellte. Natürlich war es ein McDonald’s, das konnte ein dreijähriges Kind erkennen.
»Oui!« , bestätigte sie, offenbar in bester Stimmung. Das also war die Retourkutsche, die sie sich für ihn ausgedacht hatte. Na wunderbar!
Im Herzen des Genusstempels trieb sich eine Gang von Halbstarken herum, deren Mitglieder aussahen wie Milchbartversionen weißer Ghetto-Rapper – darüber hinaus Touristen in quietschbunten Shorts, mit Turnschuhen, Sandalen oder Flipflops an den Füßen. Jacques kam sich ein wenig deplatziert vor in seiner feinen Aufmachung – Anzug, Krawatte, Budapester, genau wie Gustave es ihm geraten hatte –, und mit einer Frau in einem glänzenden schwarzen Abendkleid an seiner Seite.
»In diesem … Restaurant … haben wir also das Vergnügen, zu Abend zu speisen?«, vergewisserte er sich, noch immer hoffend, der Kelch möge vielleicht doch noch in letzter Sekunde an ihm vorübergehen.
»Oui« , antwortete Catherine erneut, ein wenig geistesabwesend, als wäre sie mit ihren Gedanken in weiter Ferne, und heftete den Blick auf die elektrisch beleuchtete Speisekarte oberhalb des Bestelltresens.
»Ich nehme die Big-Mac-Menü«, bestellte sie schließlich bei ihm, während Jacques sie erschrocken anstarrte, als wäre sie keine Amerikanerin, sondern eine Außerirdische.
»Ich dachte, Sie sind Vegetarierin«, unternahm er einen letzten Anlauf, sie aufzuhalten.
»Heute Abend nicht«, kam es wie aus der Pistole geschossen zurück.
»Na, grillen Sie die Fleisch auch so gut?«, fragte Catherine ihn, nachdem sie sich in eine Ecke gequetscht hatten und ihr Essen genossen .
Er hatte das Gleiche bestellt wie sie, so perplex war er gewesen. Obwohl er einen Augenblick dazu tendiert hatte, sich für den Charolais-Burger zu entscheiden. Es war das einzige Produkt, das McDonald’s ausschließlich für die verwöhnten Franzosen eingeführt hatte, mit dem Fleisch der berühmten weißen Rinder, die sich in ihrer Heimat – den saftigen Weidewiesen des grünen Burgunds – nicht nur von gewöhnlichem Gras, sondern darüber hinaus von weißem und rotem Klee sowie allerhand Gewürzkräutern ernährten.
»Wie bitte?«
»Ob Ihre Fleisch auch so gut ist?«
»Nun, ich glaube, das Fleisch im Paris ist deutlich besser«, beantwortete er ihre mit Angriffslust gewürzte Frage nüchtern und mit einem friedlichen Lächeln. Nach Gustaves Standpauke hatte er sich fest vorgenommen, an diesem Abend höflich zu ihr zu sein – was auch immer sie ihm an den Kopf werfen würde.
»Warum brauchen Sie dann Hilfe? Wenn Ihre Fleisch besser ist als in die erfolgreichste Restaurant Frankreichs, wie Sie mir heute Mittag gesagt haben … «
Diese Catherine hatte ein verdammt gutes Gedächtnis. Und sie war ihm mehr als ebenbürtig, das wurde Jacques in diesem Moment schlagartig bewusst. Es waren nicht allein ihre Worte, sondern vor allem die Art, wie sie ihn mit ihrem Röntgenblick musterte. Wie eine Lehrerin den schwächsten Schüler ihrer Klasse, von dem sie herauszufinden versuchte, ob er nur faul war oder wirklich dumm. Es war ihr tatsächlich gelungen, den Spieß kurzerhand umzudrehen.
»Ich brauche keine Hilfe
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