Nachtmahl im Paradies
Schweiz und die Braut nach Frankreich. Trotzdem schlafen sie in ein und demselben Bett!«
Gelächter. Jacques erkannte eine weitere Männerstimme und eine Frauenstimme.
»Ja, das ist das legendäre, wenn auch nicht besonders luxuriöse Zwei-Sterne-Hotel Arbez Franco Suisse in La Cure«, fuhr der Mann mit seiner Geschichte fort. »Gérard Depardieu, der hier in Trouville übrigens ein Haus hat, soll hin und wieder dort sein. Und das Restaurant – jenes auf der französischen Seite wohlgemerkt, denn es hat zwei! – soll ganz ordentlich sein. Sie servieren dort angeblich eine recht anständige foie gras , und besonders hervorzuheben sind die Flusskrebse, die noch hübscher anzusehen sind als die dort tätigen Kellnerinnen.«
Offensichtlich hatte bisher keine der drei vor ihm sitzenden Personen bemerkt, dass Jacques sich vor ihnen aufgebaut hatte. Aha, jetzt. Das Gespräch verstummte. Ein seltsames Schweigen – ob bedrückt oder eher belustigt, Jacques konnte es nicht einordnen – machte sich breit. Ein Schweigen, das in diesem Augenblick nur er selbst zu brechen imstande war.
»Das ist nicht euer Ernst, oder?«
Vor ihm saßen Gustave, Patrice und Catherine.
»Doch, die volle Ernst sogar«, entgegnete Letztere und versicherte sich per Blickkontakt bei den sie begleitenden Männern, dass sie volle Rückendeckung für ihre selbstbewusste Antwort genoss.
»Gustave kennst du ja, und diese charmante Gentleman hier ist Patrice. Er ist Arzt und lebt …«
»Ich kenne Patrice!«, erwiderte Jacques sauertöpfisch. »Ich dachte, du wolltest in prominenterer Lage speisen heute Abend?«
»Das dachte ich auch, mein Freund. Aber dann kam eine Einladung von Gustave und seiner überaus sympathischen Begleitung aus New York, die ich einfach nicht ausschlagen konnte. Das verstehst du doch sicher!«
Jacques murmelte etwas in seinen Jean-Reno-Stoppelbart – etwas, das nicht einmal er selbst verstand. Aber es war ihm wichtig, dass seine Gäste es als Zeichen seiner Unzufriedenheit mit der hier entstandenen Situation deuteten.
»Was darf ich den Herrschaften bringen?«, schaltete er um auf das Programm Maître-Aalglatt. Wie jeder Restaurantchef, der etwas auf sich hielt, hatte er mehrere Programme abgespeichert, die er mit einem einzigen imaginären Knopfdruck starten konnte – stilsicher und zuverlässig, wie bei einer dieser modernen Waschmaschinen.
»Komm schon, Jacques«, versuchte sich Gustave als Friedensstifter. »Wir sind hergekommen, um ein wenig mit dir und Catherine zu feiern. Deshalb sind wir auch so früh. Bring uns einen schönen Wein, setz dich zu uns, und dann sehen wir weiter. Was hältst du davon?«
Gustave war schon immer der ruhende Pol, der beschwichtigende, alte Weise – oder auch der weise Alte , obwohl er kaum mehr Jahre auf dem Buckel als Jacques und Patrice hatte – in ihrem dreiblättrigen Kleeblatt gewesen. Wahrscheinlich lag es an seinem Sternzeichen, denn er war Waage. Patrice war Skorpion und fuhr immer mal wieder seinen Stachel aus, wenn er sich langweilte und es ihn nach ein wenig Partystimmung gelüstete. Dabei war er im Grunde ein feiner Kerl, auf den man sich auch in schlechten Zeiten verlassen konnte. Jacques war Schütze – wenn auch ein Schütze mit einer miserablen Trefferquote. Zumindest wenn es darum ging, Liebe, Glück und Erfolg zu treffen. Und darum ging es im Leben doch, oder?
Gustaves Worte besänftigten Jacques’ Missmut ein wenig. Sein erster Eindruck war, dass seine Freunde und seine künftige, nein, aktuelle Geschäftspartnerin ihn und die Schwachstellen seiner Küche bloßstellen wollten. Was mehr als unnötig gewesen wäre, denn er wusste sehr wohl um die Defizite in seinem Haus. Allein sie zu beheben fiel ihm unendlich schwer.
»Gut«, sprach er in die Runde und schaltete das Maître-Aalglatt-Programm wieder aus. »Ich habe zwar keinen Château Pétrus, Jahrgang 1990, im Keller …« Er stockte und schenkte Catherine ein fast unmerkliches Augenzwinkern, das sie mit einem ebenso beinahe unsichtbaren leichten Nicken beantwortete. Es wirkte beruhigend versöhnlich nach ihrem abrupten Abgang vor wenigen Stunden. »Aber dafür einen recht netten vin de garage «, fuhr er nach einer kurzen Pause fort. »Liebe Freunde, wie wäre es mit einer oder zwei Flaschen Le Pin?«
»Du hast einen Le Pin in deinem Keller?« Patrice sprang auf. »Wieso hast du uns das all die Jahre verheimlicht? Das ist Hochverrat!«
Der Château Le Pin war der erste Garagenwein aus dem Bordelais.
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