Nachtmahl im Paradies
Er wurde auf einem winzigen Weingut von nur etwa zwei Hektar angebaut. Die wenigen tausend Flaschen, die dort jährlich produziert wurden, waren für Normalsterbliche weder erschwinglich noch überhaupt im Handel zu erwerben.
»Wieso sollte ich mit Banausen wie euch einen solchen Wein trinken?«, parierte Jacques schlagfertig und ergänzte so charmant, wie er es in diesem Augenblick nur vermochte: »Mit Mademoiselle Catherine hingegen ist es etwas vollkommen anderes. Für Sie, meine Königin, nur das Beste!«
Er verbeugte sich tief vor ihr, als wäre er nicht Jacques Persil, der am Leben verzweifelnde Koch, reich an Vergangenheit und arm an Zukunft, sondern ein vor Selbstbewusstsein und Anmut nur so strotzender junger, edler Ritter und soeben einem Mantel-und-Degen-Film entsprungen. Cyrano de Bergerac hätte es nicht besser vermocht. Er war mehr als erleichtert, dass sie nicht gekommen war, um sich an ihm zu rächen – weil er sie an diesem Nachmittag mit irgendetwas erzürnt hatte, und sei es nur mit der Hoffnungslosigkeit, die er offenbar mit jeder Pore ausstrahlte.
Catherine spielte den Ball gekonnt zurück, indem sie mit den Fingerspitzen der einen Hand einen leisen Applaus auf dem Handballen der anderen intonierte, so wie es die zarten Wesen in den einschlägigen Filmen und Theaterstücken zu tun pflegten. Sie trug eine weiße Bluse und Jeans, und ihre nackten Füße steckten in mit dunklem Leder bezogenen Holzschuhen. Es war komisch, aber in diesem Country-Look, fast ohne Make-up und fernab jeder modischen Extravaganz, wirkte sie fast mädchenhaft. Jacques musste aufpassen, sie nicht zu lange anzusehen.
»Moment mal, können wir uns den überhaupt leisten?«, gab Gustave zu bedenken.
Ein Einwand, der durchaus berechtigt war – allein der Einkaufspreis rechtfertigte ihn. Doch dieser war lange beglichen, vor vielen, vielen Jahren bereits, und was Geld betraf, lebte Jacques ausnahmsweise nicht in der Vergangenheit.
»Könnt ihr!«, bestätigte er. »Der Wein geht aufs Haus.« Es war ihm einfach so herausgerutscht, und erst in diesem Augenblick, als es bereits gesagt war, wurde ihm klar, dass das Haus seit kurzem nicht mehr ihm allein gehörte.
»Das heißt, wenn Catherine einverstanden ist«, schickte er daher schnell noch hinterher und warf ihr schüchtern einen fragenden Blick zu.
Sie nickte und lächelte. Gott sei Dank!
»Aber nur, wenn du mit uns trinkst, Jacques«, sagte sie. »Bis die ersten Gäste kommen.«
Es war möglicherweise ihr erster längerer Satz in seiner Gegenwart, in dem ihr nicht ein einziger winziger Fehler unterlaufen war. Aber es war nicht das, was diesen Satz so besonders klingen ließ für Jacques. Im Grunde machte ihr Französisch, so wenig perfekt es sein mochte, sie umso sympathischer – schließlich und endlich sind es fast immer die kleinen Ungereimtheiten, die Menschen dazu bringen, andere Menschen zu mögen. Nein, es war die Betonung und wie sie ihn dabei ansah. Bildete er es sich nur ein, oder klang es wie die schüchterne Einladung zu einem Date?
»Ahhhh!«
»Très bien!«
»Awesome!«
»Oh, là, là!«
Nichts war schöner, als vier grundverschiedene Menschen, die zum Teil sogar von verschiedenen Kontinenten stammten, die aber alle die Liebe zum Wein einte, dabei zu belauschen, welche SMS -tauglichen Huldigungen der erste Schluck eines Wunders von einem Rotwein ihnen zu entlocken vermochte. Jacques hatte den Wein aus dem Keller geholt, ihn dekantiert und nebenbei in der Küche einen kleinen apéritif zubereitet – obwohl es laut Karte offiziell so etwas nicht mehr gab. Aber ein paar kleine Häppchen für seine Freunde mussten drin sein.
» Voilà: Kaviar auf getoastetem Weißbrot, belegt mit Orchideenblütenblättern! Das schreit zwar wieder nach Champagner, aber wir sind ja nicht so penibel«, verkündete er stolz und schob das kleine Silbertablett auf den Tisch.
»Haben wir in die Lotto gewonnen?«, fragte Catherine sichtlich begeistert.
»Nun«, übernahm Patrice die Beantwortung ihrer Frage, »Jacques auf jeden Fall.«
»Oh, Patrice … falls ich damit gemeint bin … nun, das ist … sehr nett«, gab Catherine das Kompliment leicht errötend zurück, während ihr Blick für eine Millisekunde den von Jacques traf.
»Auf dich und Catherine«, erhob Gustave sowohl sein Glas als auch seinen übergewichtigen Körper, den er durchaus hin und wieder mal an der frischen Luft ausführen sollte, wie sein anwesender Arzt ihm regelmäßig riet.
»Genau, auf euch
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