Nachtmahl im Paradies
hätte.
»Auf Wiedersehen, Eselchen. Auf Wiedersehen, Pferdchen. Wir sehen uns morgen in die alte Frische! Morgen platzt die Knoten, und wenn nicht, dann … dann die Tag nach morgen. Wie sagt ihr dazu hier in Frankreich, Jacques?«
»Übermorgen.«
»Übermorgen, ja. Gut Ding will Weile haben, oder so? Für alles braucht man Geduld. So wie mit Ebbe und Flut … die …«
»Gezeiten?«
»Genau. Die Gezeiten. Es gibt gute Zeiten und schlechte Zeiten. Gezeiten, meine ich natürlich. Ebbe und Flut. Manchmal glaubt man, die Meer kommt nie mehr zurück, oder? Sie bleibt für immer da draußen, weit in die Ärmelkanal. Aber dann, irgendwann kommt sie doch zurück. Die Geräusch von die Wellen, die Gischt, die an die Hafenmauer klatscht, die Leben eben. Irgendwann ist alles wieder da.«
Das hatte sie schön gesagt. Am liebsten hätte er sie hier und jetzt in den Arm genommen, bevor sie wieder in ihrem riesigen Geländewagen verschwand. Doch sie kam ihm zuvor. Mit einem Küsschen links und einem rechts. Wie immer. Eigentlich sagte man doch, dass in Amerika alles eine Nummer größer war, größer und mehr. Warum gaben sich die Leute dann dort nur zwei Küsschen, während in Frankreich fast überall drei oder gar vier üblich waren – und zwar unabhängig davon, ob man jemanden mochte oder nicht? Das also war es, was die Journalisten von Le Monde meinten, wenn sie in ihren klugen Kommentaren vom sogenannten » clash of cultures « sprachen und die Amerikaner am liebsten in die Wüste schicken wollten.
»Möchtest du vielleicht morgen Mittag zum Essen vorbeikommen? Ich mache ein französisches Nationalgericht: Coq au Vin.« Noch immer hoffte er, sie von der vegetarischen Küche abbringen zu können, indem er sie verführte. Kulinarisch, versteht sich.
Während Catherine, viel zu zierlich für das große Gefährt, auf den Ledersitz hinter dem Lenkrad kletterte, machte sie einen Gegenvorschlag.
»Wie wär’s, wenn du stattdessen zu mir kommst? Dann kannst du meine Haus sehen. Ich schicke dir die Wegbeschreibung per E-Mail. Du bringst einfach die Zutaten mit, und wir kochen es dann gemeinsam, hm?«
Jetzt konnte er nicht mehr zurück. Dass er eigentlich vorgehabt hatte, das Gericht alleine zu Ende zu bringen – und zwar in seiner Küche –, um die Chance nicht zu vertun, Elli wiederzusehen, konnte er wohl kaum glaubhaft begründen. Es sei denn, er gestand ihr die Wahrheit. Das wiederum konnte jedoch zu erheblichen neuen Komplikationen führen. Als seine Geschäftspartnerin konnte Catherine verlangen, dass er sich auf seinen Geisteszustand hin untersuchen ließ.
»Sehr … gern!«, antwortete er schließlich – und hoffte, dass die Pause zwischen den beiden Wörtern nicht zu lang war.
Sie schien zufrieden.
»Auf Wiedersehen, Jacques«, sagte Catherine mit einem milden Lächeln, während sie den Motor startete.
»Auf Wiedersehen.«
»Gute Nacht.«
»Ja, dir auch.«
»Und schöne Träume.«
»… Catherine?«
»Ja?« Sie hatte die Tür schon fast zugemacht.
»Ähm … fahr vorsichtig, ja? Die Kornfelder am Wegesrand sind unberechenbar, vor allem nachts.«
Sie zwinkerte ihm zu, als hätte er ihr etwas mitgeteilt, über das sie schon lange Bescheid wusste. Langsam rollte der Rover an.
Jacques schaute ihr vom Parkplatz aus nach, bis die Rücklichter in der Dämmerung verschwunden waren. Seit Jahren war er jeden Abend mit der Einsamkeit ins Bett gegangen, und nun raubten ihm gleich zwei Frauen den Schlaf.
Es schien ihm, als wäre er noch gar nicht richtig eingeschlafen, als er plötzlich hochschreckte. Da war etwas. Er fühlte es. Nichts, das ihm Angst einjagte – nein, im Gegenteil: etwas ganz und gar Gutes. Offenbar gab es dort oben im Himmel doch eine Abteilung, die sich um die Wünsche der Menschen auf der Erde kümmerte. In diesem Moment war sie dabei, seinen Traum wahr werden zu lassen, und das, obwohl er gar nicht träumte. Er konnte förmlich spüren, dass sich jemand von hinten an ihn schmiegte. Dass Arme ihn sanft umschlungen hielten. Dass Hände gefaltet auf seiner Brust lagen, um sein Herz zu beschützen. Damit das Loch darin ungestört zuheilen konnte. Er brauchte die Augen nicht zu öffnen, um zu erkennen, dass es Ellis Hände waren. Ihr warmer, gleichmäßiger Atem strich ihm leise ums Ohr, während er nur dalag, ohne sich zu rühren. Ohne die Lider zu bewegen. Er ließ sich einfach fallen. Hinein in seinen Traum. Elli war doch noch gekommen. Um ihn in dieser Nacht nicht allein zu lassen.
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