Nachtmahl im Paradies
Paris war ausgebucht bis auf den letzten Platz. Ein wahres Wunder, anders konnte man es nicht bezeichnen – in Anbetracht des Rufs, den sich das Etablissement in den vergangenen Jahren »erarbeitet« hatte.
Gott sei Dank hatten sie das alte Gästebuch wiedergefunden. Vor etwa zwei Wochen hatten er und Catherine den unter einer daumendicken Schicht Staub im Keller vergrabenen Wälzer aus der Blütezeit des Restaurants hervorgeholt. Sie hatten Einladungen auf dunkelrotem Büttenpapier – dem teuersten, das zu bekommen war – ins ganze Land verschickt, einige sogar ins Ausland. Ein paar der damaligen Stammgäste mochten in der Zwischenzeit das Zeitliche gesegnet haben, aber die Rückmeldungen waren für ein kleines Unternehmen wie das ihre dennoch ermutigend. Die Menschen erinnerten sich offenbar an alles – sogar an das Gute, und wenn es noch so weit zurückliegen mochte. Zugleich vergaßen sie alles – sogar das Schlechte, wenn sie es nur wollten.
Einen Abend später war es so weit: Premiere.
Natürlich hatten sich Gustave und Patrice angekündigt und einige andere Weggefährten der vergangenen Jahre. Die Stimmung war gut, und jeder, der die wechselhafte Geschichte des Restaurants und vielleicht sogar auch die seiner Betreiber kannte, schien darauf zu hoffen, dass das Wunder sich erfüllte. Dass das Comeback zu einem rauschenden Fest würde – zur glücklichen Geburtsstunde einer neuen Ära, einer neuen Zeitrechnung für das Paris . Das Schicksal hatte sich als gnädig erwiesen und die Zeiger der Lebensuhr dieses Restaurants auf exakt null Uhr zurückgestellt. Bald würde sie wieder zu ticken beginnen. Mit einem neuen Uhrwerk. Frisch aufgezogen. Tick, tick, tick.
Der César für die beste Ausstattung ging an diesem Abend zweifelsfrei an Catherine. Noch in der Küche konnte Jacques die begeisterten Ahs und Ohs der Gäste deutlich vernehmen, und durch die Glaswand, welche ihn von den Besuchern des Paris trennte, konnte er ihre glänzenden Augen sehen. Wohl kaum jemand hatte erwartet, dass sich das Restaurant für seine zweite Chance mit einem derart exorbitanten Aufwand herausputzen würde.
Speziell für die Eröffnungsnacht hatte Jacques ein siebengängiges Menü entworfen – keinen der Gänge hatte er, abgesehen von der Generalprobe natürlich, je zuvor für Gäste gekocht. Zunächst war er versucht gewesen, einige Klassiker aus guten alten Zeiten wiederzubeleben, aber er hatte die Idee schnell wieder verworfen – genauso wie jene, ein oder zwei Gerichte aus dem roten Büchlein in das Menü einfließen zu lassen. Man sollte Privates und Geschäftliches nicht in einen Topf werfen, auch wenn der Gedanke daran verführerisch sein mochte. Nein, das Menü für diesen Abend war radikal und neu. So wie das Ambiente, in dem es serviert wurde.
Andere Restaurants, die etwas auf sich hielten, servierten oft internationale Küche – heutzutage nicht selten Molekularküche wie bis vor kurzem Ferran Adrià im legendären El Bulli mit seinem sphärischen Melonenkaviar oder Heston Blumenthal, auf dessen Karte Lachs mit Lakritzsauce zu finden war. Im Gegensatz dazu wollte Jacques ausschließlich lokale Gerichte servieren. Hausmannskost aus der Normandie, zelebriert mit einer völlig neuen Leichtigkeit und auf einem Niveau, das nur wenige Hausmänner und Hausfrauen zustande bekamen – so hoffte er jedenfalls.
Das Menü des Abends wie auch die Karte der Zukunft waren von der Region und dem inspiriert, was ihr überaus fruchtbarer Boden hervorbrachte. Alles sollte dem natürlichen Wechsel der Jahreszeiten folgen: Frühling, Sommer, Herbst und Winter – sie alle würden ihre eigenen typischen Geschmäcker auf die Tische des Paris bringen. Jacques und Catherine fanden, dass dieses Konzept – lokale Spitzenküche, globale Spitzenweine – eine gute Weise war, eine Tradition zu beginnen, die das Paris zu neuem Ruhm führen sollte. Er hoffte inständig, dass auch seine Gäste diese Idee goutierten.
Ein wenig nervös machte ihn allein die Frage der Koordination, denn er arbeitete zum allerersten Mal mit Catherine – und dann gleich vor vollem Haus. Elli und er waren ein eingespieltes Team gewesen. Auch mit Marion und Pierre hatte es zumindest einigermaßen geklappt, abgesehen davon, dass sich regelmäßig Gäste beschwert und behauptet hatten, Marions Mund sehe beim Bedienen aus wie ein O, dem die untere Hälfte fehle. Doch mindestens so wichtig wie die Freundlichkeit im Umgang mit den Gästen war nun einmal die
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